Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
Vom Netzwerk:
zerbrechlich er heute Morgen am Flughafen gewirkt hatte.
    Mein Herz wurde schwer. Jetzt wünschte ich, ich hätte ihm in den vergangenen Jahren, als er immer mehr im Sessel versank und kaum noch am täglichen Leben teilnahm, mehr Aufmerksamkeit geschenkt, mehr mit ihm gesprochen. Vielleicht hätte ich so rechtzeitig herausgefunden, was los war. Doch rechtzeitig für was? Was hätte ich denn für ihn tun können? Seine Träume hatten sich längst aufgelöst, Heimweh und Frustration tief in seine Seele gefressen. Aber möglicherweise wäre es dann nicht so weit mit ihm gekommen, redete ich mir ein.
    Ich trank einen großen Schluck Whisky. Morgen würde ich als Erstes in Indien anrufen, um mich zu überzeugen, dass meine Eltern sicher angekommen waren.
    Ich blickte auf die Zeitanzeige meines Mobiltelefons. Indien war dreieinhalb Stunden voraus, dort war jetzt also bereits elf Uhr abends. Mutter und Vater befanden sich immer noch im Flugzeug.
    Ich gähnte. Da war sie, die Müdigkeit, die ich den ganzen Tag schon vor mir hergeschoben hatte. Meine Augenlider wurden schwer, doch ich hinderte sie mit aller Kraft am Zufallen. Was würde Manju von mir denken, wenn ich hier an Ort und Stelle vornüberkippte und das Tischtuch vollsabberte?
    Ich setzte gerade dazu an, die Fakten meiner Fälle zu ordnen, als Manju einen Stuhl heranzog und sich zu mir setzte. Sie hatte eine Kassette in den alten Rekorder eingelegt und eine hohe weibliche Stimme wimmerte sich durch einen Song in Hindi. Manju wischte sich die Hände an einer Schürze ab und nippte an einem Glas Nimbu Pani , gesüßtem Limonenwasser.
    »Es ist dein Vater, nicht?«, stellte sie nach einer Weile fest.
    »Ich kann nichts für ihn tun. Das macht mich fertig.«
    Ohne ein Wort zu sagen, legte sie mir die Hand auf den Arm. Die Berührung ging wie ein Stromstoß durch meinen Körper. Anscheinend hatte sie meine Reaktion auch bemerkt, jedenfalls fragte sie, ob ich nur wegen der Sache mit meinem Vater so angespannt sei.
    Ich erklärte es ihr: »Es ist auch der Fall, den ich gerade lösen soll.«
    »Erzählst du mir davon?«
    Ich warf ihr einen prüfenden Blick zu, doch das Interesse hinter ihrem verlegenen Lächeln war echt. Ich fasste kurz zusammen, was ich hatte. Das war ohnehin nicht viel.
    »Und das hat alles irgendwie miteinander zu tun?«, erkundigte sich Manju, die mir aufmerksam zugehört hatte.
    Auch wenn ich das vermutete, waren Zweifel auf jeden Fall angebracht. Die Umstände von Saids Tod hingen nur äußerst vage mit denjenigen von Nils zusammen. Bei Said war eine frische Tollkirsche gefunden worden, ein hochgiftiges Nachtschattengewächs, das sich bei einer professionellen Analyse auch in Nils’ Hexensalbe nachweisen lassen würde. Und zwischen Said und Kevin sah ich überhaupt keine Verbindung.
    Der magere gemeinsame Nenner war, dass alle drei auf Männer standen. Und tot waren.
    »Das ist alles?«, fragte Manju aufrichtig erstaunt.
    Ich schlürfte zerknirscht an meinem Drink und starrte in das Schneetreiben, das in der letzten Viertelstunde heftiger geworden war.
    Genau genommen, war es nichts. Ich hatte nichts in der Hand. Weder hatte ich eine Spur zu Saids Mörder gefunden, noch war ich dahintergekommen, was die beiden anderen Jungen gemeinsam gehabt hatten. Weshalb sie sterben mussten.
    »Du schaffst das schon«, spendete mir Manju Trost, als sie bemerkte, wie niedergeschlagen ich war. Ihr aufmunterndes Lächeln wirkte wie Balsam für mein Selbstwertgefühl. »Ich glaube an dich.«
    Nachdem wir uns einen halben Hindisong lang wortlos angeguckt hatten, zogen Rauchschwaden auf und sie sprang erschrocken hoch.
    »Meine Güte, das Bhoona Gosht! «, rief sie entsetzt und eilte zum Herd.
    Mein Blick folgte ihr, als wäre sie mit einem starken Magnet ausgestattet. Ich pfiff meine Gedanken zurück und befahl ihnen, sich wieder in Reih und Glied aufzustellen, was sie nur maulend befolgten. Ein Schluck Amrut half ihnen dabei.
    Ein schwacher Hoffnungsschimmer blieb mir: der Besuch bei dieser Organisation, die Kevins Kumpel Thomas erwähnt hatte. Sanduhr hieß sie, ein merkwürdiger Name. Vielleicht kam ich morgen früh einen Schritt weiter.

Montag
    »Da bist du ja! Herzlich Willkommen!« Der Mann öffnete mir die Tür so prompt, als hätte er direkt dahinter auf mein Klingeln gewartet. Ehe ich ausweichen konnte, hatte er die Arme ausgebreitet und drückte mich überschwänglich an sich. »Schön, dass du zu uns gefunden hast!«
    Ich ließ mir weder anmerken, wie sehr

Weitere Kostenlose Bücher