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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel
Autoren: S Mann
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durchquerten den Raum und blieben direkt vor meinem Versteck stehen. Ich wagte es nicht einmal zu blinzeln. Zwei feuchte Wildledermokassins mit Bommeln, in denen weiß besockte Füße steckten, schoben sich in mein Blickfeld, von oben vernahm ich ein dumpfes Flappen. Der Typ hatte gerade etwas angehoben, dem Geräusch nach die Schreibtischunterlage. Im nächsten Augenblick wurde der Aktenschrank aufgeschlossen und eine Schublade hervorgezogen. Wenigstens wusste ich jetzt, wo der verdammte Schlüssel lag.
    Vorsichtig reckte ich den Hals, was in meiner zusammengekrümmten Position nicht ganz einfach war. Am glatt rasierten und solariumgebräunten Kinn erkannte ich Bob sofort. Ich beobachtete, wie er eine Akte an sich nahm und den Schrank sorgfältig wieder abschloss. Geschwind zog ich den Kopf ein und hörte, wie er den Schlüssel zurücklegte. Doch er verließ sein Büro nicht gleich wieder, wie ich gehofft hatte, sondern blieb vor dem Schreibtisch stehen und blätterte immer noch leise summend die Mappe durch, während ich mangels Alternativen auf seine Mokassins glotzte. Plötzlich griff er sich den Stuhl, drehte ihn etwas seitlich und setzte sich schwungvoll. Mir rutschte das Herz in die Hose.
    Bob schien überhaupt nicht in Eile zu sein, er überschlug die Beine und blätterte raschelnd in den Unterlagen. Nervöse Schweißtropfen bildeten sich auf meiner Stirn. Unvermittelt kramte Bob ein Mobiltelefon aus seiner Jacketttasche. Leise war ein Verbindungston zu vernehmen, bevor jemand den Anruf entgegennahm.
    »Auftrag erledigt«, hörte ich Bob sagen. »Ich hab sie hier …«
    Eine aufgeregt klingende Stimme unterbrach ihn, ohne dass ich verstehen konnte, was sie sagte.
    »Okay, okay, beruhige dich. Ich lass sie dir …«
    Erneut wurde er unterbrochen.
    »Ich habe sie gerade durchgeblättert. Natürlich ist sie komplett.«
    Die Stimme wurde lauter.
    »Okay, gleich morgen früh.«
    Der Anrufer stellte dem Tonfall nach eine Frage.
    »Nein, hier wurde nicht eingebrochen«, antwortete Bob bestimmt, hielt dann aber zögernd inne. »Wobei … jetzt, wo du es erwähnst … Als ich die Eingangstür aufgeschlossen habe, wehte mir ein ungewöhnlich kühler Luftzug entgegen. Ich dachte noch …«
    Aus dem Handy zischte ein wüster Fluch, den selbst ich deutlich verstehen konnte, gefolgt von einem harschen Bellen.
    »Ja, ja, ich seh gleich nach …« Bob sprang auf, dabei rutschte ihm die Akte runter, die er offenbar zum Telefonieren auf den Knien abgelegt hatte. Rasch bückte er sich danach, doch die Zeit hatte gereicht, um den Namen auf dem Umschlag zu entziffern. Frank R. Tobler hatte sich bei Sanduhr behandeln lassen. Jetzt hatte ich den Beweis für meine Vermutung.
    Beinahe gleichzeitig begriff ich, dass er es war, der Bob gerade angerufen hatte.
    Alles ergab mit einem Mal Sinn. Schon vorhin, als der Staatsanwalt in seinem Büro so aufgeregt herumgetigert war, musste er mit Bob telefoniert haben. Er hatte mich im Park erkannt und war richtigerweise angenommen, dass es mir genauso ergangen war. Deswegen hatte er mich abgehängt und war zurück ins Büro geeilt, von wo aus er Bob aufgetragen hatte, seine Akte unverzüglich aus dem Schrank zu entfernen und in Sicherheit zu bringen. Nur verständlich, ich hätte wohl genauso gehandelt. Denn die Akte war sein verletzlichster Punkt, seine Achillesferse. Darin stand, was niemand wissen sollte, all die Dinge, die nicht sein durften. Geriet sie in falsche Hände, bedrohte das seinen Job, seine Ehe, seine Glaubwürdigkeit, seine Existenz. Sie wäre mein Druckmittel gewesen, um ihn zu einem Geständnis zu bewegen.
    Tobler musste befürchtet haben, dass ich seine Verbindung zu Sanduhr entdecken könnte, und hatte entsprechende Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Zu Recht. Leider war er mir zuvorgekommen. Verdammt!
    Ich hörte, wie Bob die Bürotür aufriss und in den Gang hinausrannte. Mir blieben Sekunden. Mit steifen Gliedern richtete ich mich auf und starrte ungläubig auf die mit Toblers Namen gekennzeichnete Akte, die Bob achtlos auf den Tisch geworfen hatte. Ohne lange zu überlegen, schnappte ich sie mir.
    Als ich durch den Korridor zur Eingangstür auf der Vorderseite des Wohnhauses flitzte, war ein schriller Aufschrei von den Toiletten her zu vernehmen. Betont männlich klang anders.
    Ich stürzte ins Freie, rannte blindlings über die Straße und warf mich auf den Fahrersitz meines Käfers. Nach zwei Versuchen mit zittrigen Fingern steckte der Schlüssel endlich und der Motor
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