Uhrwerk Venedig (German Edition)
einen Menschen erinnerte. Aber ein Menschen mit Tentakeln statt Armen? Der Schatten stürzte in Richtung Tür, warf jemanden beiseite, den Giacomo anhand der Umrisse als Gustav erkannte. Neben der Tür kauerte ein weiterer Schatten. Das musste Lucio sein, der gerade ein Gebet nach dem anderen herunterhaspelte. Giacomo sprang auf, als ihn plötzlich etwas Klammes am Hals packte. Der Griff war mörderisch fest, und als er im Reflex nach dem griff, was er für den Arm eines Angreifers hielt, fühlte er weiches Fleisch, von Schleim bedeckt, unter seinen Fingern.
Gustavs Stimme dröhnte über das Durcheinander hinweg.
»Assassinen? Ha! Kommt her und schmeckt meine Klinge, ihr feigen Hunde, die ihr euch in der Dunkelheit versteckt, wie die Memmen unter dem Rock ihrer Mütter!«
Giacomo wollte seinen Freund zu Hilfe rufen, aber der schleimige Arm um seinen Hals schnürte ihm die Luft ab. Umberto kreischte wie von Sinnen. Lucios Stimme raste atemlos durch sämtliche Gebete, die er kannte. Gustavs dunkle Umrisse sprangen durch die Werkstatt und folgten einem Schatten, der unmöglich einem Menschen gehören konnte. Giacomo kämpfte um einen Atemzug. Poltern, Gustavs Schmährufe, Umbertos Kreischen und Lucios Gestammel vereinigten sich zu einer Kakofonie des Grauens. Er sah bunte Flecken vor seinen Augen tanzen. Sein Hals brannte, seine Lungen pumpten verzweifelt nach Luft. Er krallte seine Finger mit der Kraft der Verzweiflung tiefer in das weiche Fleisch und spürte, wie es unter seinem Griff aufplatzte. Warmer Glibber quoll über seine Hände und ein derartig hohes Kreischen erklang hinter seinem Rücken, dass es ihm in den Ohren schmerzte. Ein Röcheln hallte durch die Werkstatt. Giacomo stellte verwundert fest, dass es aus seinem Hals kam.
»jrusaaaf …«
»Giacomo?«
»riiiiarrr …«
Gustavs Schatten flog auf Giacomo zu. Etwas blitze im Schein der Sterne auf, das schrille Kreischen in Giacomos Rücken verstummte abrupt und plötzlich konnte er wieder Luft holen. Er fiel vornüber auf die Knie, hielt sich mit einer Hand den wunden Hals und atmete röchelnd die süße Luft ein, nach der seine Lungen lechzten. Eine Hand legte sich auf seine Schulter.
»Alles in Ordnung, mein Freund?«
Giacomo konnte nur nicken. Obwohl Gustav diese Geste unmöglich sehen konnte, sprach er Giacomo gut zu.
»Atme langsam gleichmäßig. Wenn du jetzt zu heftig atmest, kannst du ohnmächtig werden.«
Giacomo hob den Blick, wollte seinem Freund sagen, dass es ihm schon besser ging, als sein Blick auf das Pergament fiel. Die Machina ratterte wie von Sinnen weiter. Der Lichtfaden, der von ihrer Spitze ausging, flimmerte heller und heller, und aus der Rückseite des Pergaments flogen Schatten. Eine endlose Reihe, einer schrecklicher anzusehen als der nächste. In Scharen flogen sie einmal durch die Werkstatt, wie Vögel, die sich für ihren Flug in ihr Winterquartier erst orientieren müssen. Dann zogen sie hinaus zur offenen Dachluke und verschwanden in der Nacht. Einer der Schatten löste sich aus der Flut, die aus dem Pergament stieg. Er schwebte neben dem Werktisch, wurde langsam größer, nahm Gestalt an.
»Die Machina«, röchelte Giacomo unter Schmerzen. »Die Machina!«
»Mit deinem Teufelswerk ist alles in Ordnung Giacomo«, versuchte Gustav seinen Freund zu beruhigen. »Verdammt! Umberto! Hör auf zu greinen und zünde das Licht wieder an. Lucio. Hör auf alle Heiligen anzurufen. Die haben im Moment dringlichere Angelegenheiten zu erledigen. Hilf deinem Mitschüler. Wir müssen sicherstellen, dass wir alle vertrieben haben.«
»Die Machina!« Hektisch deutete Giacomo auf das andere Ende des Tisches. Der Schatten hatte inzwischen fast die Größe eines Mannes erreicht. Gustav schien nicht zu verstehen. Vage sah Giacomo, wie er verwirrt den Kopf schüttelte.
»Das waren gedungene Mörder, Giacomo. Ausgesandt von deinem Auftraggeber oder einem seiner Konkurrenten.«
Giacomo holte so tief Luft, wie er konnte, legte alle Kraft in den Ruf und ignorierte den Schmerz in seiner wunden Kehle.
»Feind! Hinter dir!«
Gustav wirbelte herum. Seine Klinge blitzte auf und versank in dem Schatten, der sich drohend hinter ihm aufgebaut hatte. Aus dem Schatten schrillte ein Ton der so hoch und laut war, dass Giacomo glaubte auf der Stelle sein Gehör zu verlieren. Umberto fiel in den Schrei ein. Lucio hatte sich so weit gefangen, dass er eine der Kerzen in der Werkstatt anzünden konnte. Der Docht fing Feuer, die Kerze brannte, und der
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