Uhrwerk Venedig (German Edition)
Venedig war nicht wirklich so groß, als dass eine solche Vermutung allzu gewagt gewesen wäre.
Der Angesprochene nickte anerkennend und schlug seine Kapuze zurück.
»Und wie es für die Inquisition üblich ist, gerade rechtzeitig, um die wirklich interessanten Geschehnisse verpasst zu haben.« Hawthorne konnte sich den Zusatz einfach nicht verkneifen.
»Ihr solltet Eure Zunge hüten, Signore. Es wäre mir ein Leichtes, Euch als Zivilisten einfach verschwinden zu lassen, falls ich zu der Auffassung kommen sollte, Ihr seid ein Risiko - oder auch nur etwas zu lästig. Und niemand würde sich darum kümmern.” Hawthorne biss die Zähne aufeinander. Di Paolo war dafür bekannt, dass er ein Schweinehund war. Ein kalter, erstaunlich schlecht informierter Schweinehund, wenn er Hawthorne tatsächlich als Zivilisten betrachtete. Ihm war allerdings momentan nichts daran gelegen, diesen Zustand zu ändern. Stattdessen lächelte er unverbindlich.
»Und ich nehme an, dass dieser falsche Gardist hier in Eurem Dienst stand?«
»Ich denke, dass ist nicht Eure Angelegenheit, Signore. Wenn Ihr jetzt das Paket freundlicherweise vor Eure Füße legen würdet, bevor Ihr uns verlasst...«
»Eure Eminenz, diese Anlegestege befinden sich im Besitz meiner Familie”, trat der junge di Grimani entschlossen dazwischen. «Ihr befindet Euch somit auf meinem Besitz und habt hier keinerlei Forderungen zu stellen!”
Di Paolo bedachte ihn mit einem Blick, den er wahrscheinlich normalerweise für Kleinkinder und unpassend urinierende Schoßhunde reservierte. »Weiß Eure Familie davon, daß Ihr Euch des Nachts an den Docks herumtreibt? Und würde sie es zu schätzen wissen, wenn man Euch mit dem Tod dreier Vigili hier im Hafen in Verbindung bringen könnte?«
»Ich...!«
»Lass es gut sein, Oliviero.« Hawthorne beugte sich langsam hinab und deponierte das heiß begehrte Paket auf dem Boden. Er trat einige Schritte zurück und legte dem jungen Adeligen eine Hand auf den Arm.
»Sehr verständnisvoll und kooperativ. Ich versichere Euch, Ihr erspart uns allen unnötige Unannehmlichkeiten.«
Di Paolo trat vor und hob das Paket auf. »Ihr verzeiht jedoch, wenn ich Euch nicht vollständig traue.«
Mit einer schnellen, fließenden Bewegung holte er ein Federmesser hervor, durchtrennte die Verschnürung und verstaute das Messer wieder, bevor die Schnur auch nur zu Boden gefallen war. Als er das Öltuch zurückschlug, wurde ein Kasten sichtbar, dessen polierte und mit Gravuren verzierte Oberfläche im Mondlicht metallisch schimmerte. Deutlich war das komplizierte Uhrwerk aus Zahnrädern, Schnecken und Schrauben zu erkennen, das beinahe die gesamte Oberfläche bedeckte. Ein schmales, kontrolliertes Lächeln wanderte über das Gesicht des Legaten als er das Tuch wieder zusammenschlug und sich den Kasten unter den Arm klemmte. Er hob die Hand. Zwei Armbrüste sangen und plötzlich ragten zwei Bolzen aus Kopf und Brust des Gefangenen. »Ich wünsche Euch noch einen angenehmen Abend, Signori. Und nur um sicherzugehen, dass wir uns richtig verstehen: ...«
«...in dieser Nacht ist nichts Ungewöhnliches vorgefallen”, vervollständigte Hawthorne den Satz, ohne eine Miene zu verziehen. «So wie etwa tote Osmanen im Hafen, nur um ein natürlich völlig absurdes Beispiel einfach so aus der Nachtluft zu greifen. Natürlich nicht. Wir würden es nie wagen, uns in Untersuchungen der Heiligen Inquisition zu mischen. Falls wir Ihr begegnen würden, was natürlich ohnehin mitnichten der Fall gewesen sein kann, da wir uns in der fraglichen Nacht nicht einmal in der Nähe des Hafens aufgehalten haben.”
»Ich sehe, Ihr versteht uns.« Wieder huschte ein schmallippiges Lächeln über di Paolos Gesicht. Ein Lächeln, das dem Briten verriet, dass der Legat lange nicht alles so unter Kontrolle hatte, wie er sich den Anschein gab. Also war ihm Cresciczos falsche Identität wohl ebenfalls unbekannt gewesen. Und das schien dem Legaten noch mehr Unbehagen zu bereiten, als ihm selbst. Was wiederum hieß, dass es noch eine weitere Partei geben musste.
»Dann dürft Ihr jetzt gehen.«
»Und da wir uns nicht begegnet sind, werdet Ihr es mir verzeihen, wenn ich Euch keine gute Nacht wünsche, Eure Eminenz.« Hawthorne verneigte sich und verließ zusammen mit Corradini, dem sich nur mühsam beherrschenden Grimani-Sprössling und Colosso den Hafen, während hinter ihnen eine Gruppe schwarz gekleideter Männer der Inquisition die zwei Leichen einsammelten und begannen,
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