Uhrwerk Venedig (German Edition)
ich denke, di Paolo hat etwas von Sultan Bayezit gekauft, das er sich heute Nacht von diesem byzantinischen Schiff hat anliefern lassen. Und ich bin mir sicher, dass es sich um eine Waffe handelt.«
»In Ordnung. Doch wenn die Osmanen im Hafen keine Osmanen waren – wer waren sie dann?«
»Vermutlich jemand, der di Paolos Paket für sich wollte, das ganze aber gleichzeitig den Osmanen in die Schuhe schieben möchte. Die Feindschaft zwischen Venedig und Byzanz ist bekannt und eine Menge Leute hier in der Stadt würden das zu gerne glauben.« Hawthorne nippte nachdenklich an seinem Glas.
»Aber was hat das mit Cresciczos Tod zu tun?«
»Ich gehe davon aus, dass unsere beiden Freunde vom Hafen den Vigile getötet haben, um seinen Platz bei der Übergabe einzunehmen.«
»Mussten sie«, stimmte Don grimmig zu, »Der Typ im Boot erwartete ein Passwort UND Cresio als Boten...«
»Exakt. Wahrscheinlich war ursprünglich geplant, Vigile Cresciczo erst nach der Übergabe zu beseitigen, doch hättet ihr vorher von der geplanten Übergabe erfahren, wäre es ihnen unter Umständen nicht möglich gewesen, das Paket an sich zu bringen. Ich denke, sie wollten dieses Risiko nicht eingehen.«
»Also musste Cresio sterben, weil wir seine Freunde waren und er uns vertraut hat.« Mordechai schüttelte traurig den Kopf.
»Nein. Er musste sterben, weil seine Eminenz di Paolo mit verbotenen Dingen spielt. Wegen ihm ist jetzt eine Waffe in Venedig, die es nicht geben dürfte.«
»Bleibt die Frage: Um wen handelt es sich bei dieser anderen Partei?« warf Oliver leise in die darauffolgende Stille.
»Genua«, brummte Colosso düster.
»Das steht zu befürchten, mein großer Freund«, sagte Hawthorne.
»Oder aber Frankreich«, sagte der Dottore.
Die anderen starrten ihn an. »Frankreich?«
»Der Dialekt, den der Mörder sprach, okzitanisch. Man spricht ihn in Frankreich. Und der kleine Franzosenkönig ist den Mechanikern an seinem Hof gegenüber sehr aufgeschlossen.«
Hawthorne nickte düster. »Und er schielt nach Italien, sagt man.«
Die fünf Männer verfielen in ein beunruhigtes Schweigen.
Tom Wilhelm
TRÄNENSPLITTER
Mühsam war die Reise bisher gewesen. Zweimal war ein Rad gebrochen, und zu guter Letzt war der gesamte Reisewaggon irgendwo hinter Padua im Schlamm stecken geblieben. Der Winter war ungewöhnlich lang und kalt gewesen und wollte auch gegen sein kalendarisches Ende hin nicht weichen. Er überschüttete das ganze Königreich Mailand und die angrenzenden Fürstentümer mit Regen.
Auch die langen Aufenthalte zum Aufziehen des spannmechanischen Antriebs waren für Leonardo alles andere als erholsam gewesen. Seit der Fürst ihn zu seinem obersten Meister der Mechanik und Kriegstechnik ernannt und dies per Brief mit einer Federzeichnung von Leonardos Konterfei in allen Kirchensprengeln bekannt gegeben hatte, sprach ihn jeder Trottel an, der des Lateinischen einigermaßen mächtig war.
Beim letzten Aufenthalt war sogar eine Abordnung, angeführt vom Pfarrer, an der Spannstation gewesen und hatte ihn mit der denkbar grässlichsten Blasmusik begrüßt. Anscheinend hofften alle, er können mit geheimen Wunderwaffen (von denen man wohl dachte, er hätte sie in seinem Reisegepäck dabei) so mir nichts dir nichts die Türken von ihren Küsten vertreiben.
Ungeduldig schaute Leonardo aus dem Verschlag seines Abteils, der früher anstelle einer Öffnung mit Holzladen ein Fenster gewesen war. Man konnte noch einige Splitterreste im Holzrahmen sehen.
Mit einem surrenden Geräusch setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Hilfsbereite Fahrgäste aus der Bauernklasse hatten die Räder so gut es ging freigelegt und mit Zweigen unterlegt. Das ein oder andere Rad drehte sich durch und man hörte aus den Differentialkästen knirschende Geräusche. Leonardo hoffte, die Spannung der mächtigen Metallfedern, die jeweils in der Mitte eines jeden Waggons angebracht waren, würde nun noch für die Fahrt bis Fusina reichen.
Leonardo schaute auf sein orologio multifunzione (OMF). Seine eigene Schöpfung. Es zeigte nicht einfach nur die Zeit an, sondern auch die Mondphasen, Ebbe und Flut, eine Wettervorhersage, aus den Schriften des Avicenna abgeleitet, und Kurznotizen, die über kleine Rändelmuttern mit jeweils 8 Zeichen eingegeben werden konnten. Zugegeben, es war recht schwer mit seinem Pfund Gewicht und trug ziemlich auf, wenn man es in die Manteltasche steckte, da sein Boden fast halbkugelförmig war. Aber sein
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