Uhrwerk Venedig (German Edition)
rachsüchtig diese Inder sein können.« Ein großer, schlanker Mann mit kräftigen schwarzen Haaren und angetan mit einem prunkvollen Gewand zog eben seinen Samtmantel aus und reichte ihn schwungvoll dem jungen Diener. Er trat auf Leonardo zu, umarmte ihn, hielt ihn mit ausgestreckten Armen an den Schultern fest und betrachtete ihn. »Alt seid Ihr geworden.«
Leonardo zuckte mit den Schultern. »Da ihr mir niemals das versprochene Elixier geliefert habt, blieb mir nichts anderes übrig. Die Zeit macht eben nur vor dem Teufel halt.«
»Sagt so etwas nicht!«, mischte sich der Gastgeber mit bebenden Backen ein. »Der Herr ist der Gebieter über die Zeit.«
Umberto grinste: »Sicher, sicher! Ich hoffe aber, Ihr nehmt mir nicht übel, dass ich trotz meiner sechzig Jahre noch aussehe wie ein junger Mann.«
Maiolli winkte ab. »Pah, wer weiß schon, wie alt Ihr wirklich seid.«
Leonardo stutze. Tatsächlich war es bereits über zehn Jahre her, dass er Scanzo gesehen hatte. Dieser sah keinen Tag älter aus. »Auch ich freue mich, Euch zu sehen, auch wenn Eure Abreise aus Mailand seinerzeit etwas plötzlich kam. Aber wie der Dichter sagt, Tempora mutantur ...«
»... et nos mutamur in illis. Ja, ja, mein Freund, und immer noch einen lateinischen Spruch auf Lager. So kenne ich Euch.« Mit zügigen Schritten war Scanzo bei der Tafel, die inzwischen vollständig gedeckt war. Eine Unmenge von Augen und Gliedmaßen wimmelte dort. Die Tierwelt der Lagune war für den Geschmack Leonardos einfach zu exotisch. Er war einfachere und deftigere Speisen aus seiner toskanischen Heimat gewohnt. »Zu viele Augen«, dachte Leonardo. Laut sagte er: »Oh ich sehe, Ihr habt alles aufgefahren, was die Lagune zu bieten hat.«
»Und noch mehr. Die besten Oliven aus der Gegend von Florenz und eine Auswahl herrlichster Weine der Region.«
Der Wein hatte den Dechanten schläfrig und Leonardo entspannt gemacht. Nur Umberto war immer noch wach, freundlich gespannt und neugierig. »Sagt mir, mein Bester, wie kann ich Euch helfen?«
»Nun ja, wie Ihr vielleicht wisst, habe ich mich in den letzten Jahren ausführlich mit den Fragen der Belagerungstechnik und dem Festungsbau beschäftigt. Ich habe mir furchtbare Maschinen und Instrumente zu deren Abwehr ausgedacht. Ich denke, mit meiner Hilfe könnten wir Venedig und das anschließende Festland vollkommen gegen einen Angriff der Osmanen absichern und ihnen bei der Abwehr auch noch grausame Verluste beibringen.«
Mit einem Seitenblick auf den inzwischen eingenickten Dechanten meinte Scanzo: »Das freut mich zu hören. Die Angriffe waren in letzter Zeit fürchterlich. Habt ihr von den Gräueltaten im Süden gehört? Bei Ostuni sollen tausende von Gläubigen verbrannt worden sein. Die Eroberer hätten anschließend von den verbrannten Leichen einen Festschmaus angerichtet.«
Davon hatte Leonardo auch gehört, glaubte aber nur einen Teil davon. Er schaute Umberto durchdringend an. »Wollt Ihr mir wirklich helfen? Sind Eure Motive rein? In Mailand habt Ihr wohl für Venedig spioniert. Für wen arbeitet Ihr hier?«
Scanzo zuckte etwas zusammen und wirkte weniger sicher. »Bitte hegt kein Misstrauen. Damals war ich gezwungen, so zu handeln. Der Doge hatte Druck auf meine Familie ausgeübt. Aber war ich Euch nicht immer ein treuer Freund?«
Leonardo legte seine rechte Hand auf die Linke von Scanzo. »Seid unbesorgt, Ihr habt eure Zusagen mir gegenüber immer erfüllt. Außer der Letzten. Francesca ist einfach verschwunden.«
Scanzo Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. »Wollt Ihr sie sehen?«
Ein Schauer durchzog Leonardo. Francesca wieder sehen. Seine einzige wahre Liebe, durch die er seit zwölf Jahren für die Reize jeder anderen Frau unempfänglich war.
»Wo ist sie?«
»Sie ist hier, in Venedig. Ich kann Euch gleich zu Ihr bringen. Ich denke, unser Gastgeber wird uns nicht vermissen.«
Maiolli schnarchte derweil so laut, dass die beiden mit erhobener Stimme sprechen mussten, um sich gegenseitig zu verstehen.
Die Gasse führte in einem engen Rechtsbogen um die Ecke eines windschiefen Hauses. In dieser Gegend war nichts mehr von dem Prunk der Palazzi am Canale Grande zu sehen. Schmale Hauseingänge, enge und verhängte Fensteröffnungen. Nun ein kleiner Platz, auf dem im Licht des Vollmonds, der durch dünne Wolken abgeschwächt war, einige Ratten auf Futtersuche waren. Langgestreckt mit flatternden Schwänzen huschten sie in dunklere Ecken, als die beiden mit Rascheln und Scharren
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