Uhrwerk Venedig (German Edition)
die gepflasterte Fläche betraten.
»Ich gebe zu, kein besonders edles Viertel, aber Francesca muss sehen, wo sie bleibt, und kann sich keine teure Bleibe leisten.« Scanzo schaute aus den Augenwinkeln zu Leonardo, der mit düsterer Miene neben ihm her lief. Die Schatten machten ihm zu schaffen. Er hatte sich noch nicht ganz von dem beunruhigenden Experiment letztes Jahr erholt. Immer wieder vermeinte er bleiche Umrisse, körperlose, unmöglich geformte Gestalten zu sehen, in Farben, die er bei diesem Licht gar nicht sehen dürfte.
Schließlich kamen sie an eine niedrige Holztür mit einem beschädigten Türklopfer. Scanzo drückte einfach die Türe auf. Da, wieder eine Ratte, die mit einem Quieken ins Innere schlüpfte.
»Francesca, Besuch für dich.«
»Nein, heute nicht mehr, ich hatte schon vier Kunden und mein Sohn ist hier. Es geht nicht.«
»Besuch, sagte ich, nicht Kundschaft.«
Scanzo grinste entschuldigend zu Leonardo, dessen schlimmste Befürchtungen bestätigt waren. Francesca war Prostituierte, wahrscheinlich schon damals in Mailand.
Wütend griff er Scanzo am linken Oberarm und riss ihn herum. »Was treibt Ihr für ein Spiel? Was soll das?«
Scanzo wehrte ab. »Ich will nur helfen. Bitte gebt mir nicht die Schuld an Francescas Umständen. Ich habe ihr immer beigestanden. Ihr seid die Ursache!«
Er riss sich los. Wie weggeblasen war die freundliche, joviale Miene. Eingefallen und düster sein Blick. »Geht nur hoch und schaut.« Er schubste Leonardo in Richtung der engen Treppe, die das Geräusch seiner Schritte mit einem Konzert an Knarren und Knirschen begleitete.
Hochsteigend schaute Leonardo in einen kleinen Wohnraum, der offensichtlich alle Funktionen einer Wohnung erfüllen musste. Ein Tisch mit zwei Stühlen, daneben ein Holzgestell mit einem Waschzuber. Auf dem Boden war eine Matte, auf der ein Kind schlief. Man sah nur einen Teil des Gesichtes und ein paar Locken.
Ein weiteres Bett war durch einen Vorhang abgetrennt. Der wurde gerade zu Seite geschoben, und eine Frau mit zerzausten Haaren trat hervor.
Sie war älter und müde, aber immer noch wunderschön. Das Mondlicht machte ihre Züge weich und runder, so dass Leonardo meinte, seine Geliebte vor sich zu haben wie vor zwölf Jahren. Als er näher kam, veränderte sich das Bild. Ihr Blick war stumpf, ihre Haut unrein und faltig. Offensichtlich litt sie an einer Art Schwindsucht, die ihre Haut grau machte und den Körper gebeugt.
Sie starrte Leonardo an. »Du bist es. Du wagst es hier zu mir zu kommen. Nachdem Du mich vor 12 Jahren verraten hast.«
Leonardo zuckte zurück. »Ich dich verraten? Du bist einfach verschwunden.«
Ihr Gesicht verschloss sich völlig. »Mein Brief an dich ohne Antwort. Und dann einfach ein Säckchen Münzen und der Ring, den ich dir geschenkt hatte.«
Mit einem Mal war Leonardo klar, was geschehen war. Der Brief war nie bei ihm angekommen. Der Ring war plötzlich verschwunden, und sein damaliger Hausdiener musste ebenso plötzlich zurück zu seiner Mutter in Bergamo. Eine Intrige. Wahrscheinlich hatte jemand am Hofe Angst bekommen, der Baumeister des Königs könne unter Stand heiraten. Dabei war Leonardo auch das Kind armer und einfacher Leute.
»Oh Gott, Geliebte, ich wusste davon nichts. Man hat uns beide betrogen.« Zwei Schritte brachten ihn zu ihr und er umarmte sie. Sie riss sich los. »Dazu ist es zu spät. Ich bin krank und werde wohl nicht mehr allzu lange leben. Mein Herz ist zu schwach und unsereins kann sich natürlich kein mechanisches leisten.«
Jetzt sah Leonardo im fahlen Licht die dunklen, fast blauen Lippen.
»Hier«, Francesca zeigte auf das schlafende Kind. »Dein Sohn, Carlo. Wenn Du etwas für uns tun willst, gib mir Geld, damit ich für ihn eine Ausbildung und für mich einen Arzt bezahlen kann.«
Leonardo stutzte. Ein Kind? Ein Sohn? Sofort kamen Zweifel in ihm auf. Wie praktisch; er ist in Venedig, Scanzo bringt ihn her und es gibt einen Sohn.
»Woher soll ich wissen, dass es mein Sohn ist?«
»Schau ihn Dir an! Du musst es doch sehen!«
Wütend wendet Leonardo sich ab. »Das könnte dir so passen. Mich mit einem Wechselbalg unter Druck zu setzen.«
Eilig stolperte er die Treppen hinunter, schob Scanzo zur Seite und rannte in die dunkle Gasse hinaus.
Scanzo folgte ihm atemlos. »So wartet doch ... mein Freund«, keuchte er. Leonardo schaute ihn wütend an. Trotz seiner Erregung bemerkte er nun das Alter sein »Freundes«. Wie er schnaufte und seine Schulter
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