Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
zugehen. »Jetzt gib mir schon das Korn, du Arsch«, war typisch für unseren Umgangston. Sehr zum Ärger der Therapeuten, versteht sich.
2000 in der Suchtklinik Fredeburg. Während einer der stundenlangen und äußerst intensiven »Siedler von Catan«-Spielchen schenke ich der Kamera einen kurzen Moment. © Uli Borowka privat
Kein Entzug ohne Entzugserscheinungen. Das musste auch ich am eigenen Leib erfahren, wenn auch nicht so brutal wie manch anderer, dem der Alkohol schon den Körper zerfressen hatte. Ich habe es selbst nach meiner Therapie lange Jahre geleugnet (was zeigt, wie sehr ich weiterhin Angst davor hatte, Schwächen zuzugeben), doch heute kann ich mir eingestehen, selbst Entzugserscheinungen gehabt zu haben. Nach den ersten Tagen ohne Alkohol bekam ich immer häufiger unkontrollierte Schweißausbrüche und Angstattacken. Heimlich heulte ich dann nachts in mein Kissen, den Kopf ganz schwarz vor lauter schlimmen Gedanken. Eine furchtbare Erfahrung, doch auch sie half mir, mich noch intensiver mit meiner Therapie zu befassen. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass ich Alkoholiker war, dann war er hiermit gegeben.
Es war nicht so, dass ich jeden Tag Fortschritte in der Therapie machte, aber recht schnell entwickelte ich den Ehrgeiz, diese Herausforderung erfolgreich zu bewältigen, sprich: als trockener Alkoholiker die Klinik zu verlassen, um einen Neuanfang zu wagen. Ich ärgerte mich furchtbar, wenn ich diesen Ehrgeiz nicht auch bei anderen Mitpatienten spürte, häufig geigte ich allzu passiven Therapiegruppenmitgliedern deshalb meine Meinung. Und meine Worte hatten in Fredeburg Gewicht. Durch meine Prominenz und mein im Therapiebericht passenderweise als »robust« bezeichnetes Sozialverhalten wurde ich bald zu einer Art Anführer in unserer Gruppe. Eine Position, die ich beispielsweise bei den äußerst unbeliebten Aufräumarbeiten missbrauchte. Wenn die anderen den Flur schrubbten, legte ich mich ab und zu hin und machte ein Nickerchen.
Die bereits angesprochene Suchtfibel bildete die Grundlage für die Zeit in der Klinik. Gleich zu Beginn meiner Zeit in Fredeburg musste ich einen »Suchtvertrag« unterschreiben, in dem ich mich dazu verpflichtete, den einzelnen Stationen des Entzugs meine volle Aufmerksamkeit zu schenken. Ganz grob lauteten die Zwischenziele: »Von der Ahnungslosigkeit zur Ahnung«, »Selbstaufmerksamkeit: Die Bedingungen von Missbrauch und Abhängigkeit erkennen«, »Sich selbst die Diagnose stellen«, »Sich ändern und Hilfe annehmen«, »Dem Rückfall vorbeugen«. Schritt für Schritt zum Neuanfang. In meinem Abschlussbericht heißt es: »Abschließend bleibt festzuhalten, dass Herr B. zum Ende der Entwöhnungsbehandlung eine stabile Krankheitseinsicht aufweist und Fortschritte in Bezug auf die emotionale Akzeptanz seiner Abhängigkeit erzielt hat.«
Ich blieb insgesamt vier Monate in Bad Fredeburg. Es ist unmöglich, alle Erfahrungen, die ich dort gemacht habe, auf ein paar Buchseiten wiederzugeben. Vielleicht haben die Tagesberichte, die lose in dieses Buch eingestreut sind, einen Eindruck davon geben können, wie es mir in der Suchtklinik erging. Bad Fredeburg hat aus mir keinen neuen Menschen gemacht, das würde zu weit gehen. Aber Bad Fredeburg spülte mir den letzten Rest Alkohol aus Körper und Geist. Seit jenem ersten Tag in der Klinik habe ich nie wieder einen Tropfen Alkohol angerührt.
Die Therapie hat mir das Leben gerettet. Aber wie ich dieses Leben weiterleben wollte, das konnte und musste ich selbst entscheiden. Die Probleme außerhalb der Klinikmauern waren in den vier Monaten ja nicht gelöst worden, sie waren weiterhin existent. Doch nun hatte ich mir eine gesunde Grundlage geschaffen, um die Hürden auch anständig zu bewältigen.
Am 27. Juni 2000 war ich es, der die Gruppe zu Kaffee und Kuchen einlud. Ein paar warme Worte, ein paar feste Umarmungen und schon ging die Tür hinter mir zu. Ich hatte die Therapie geschafft. Aus »Uli, 32, Alkoholiker« war in den vier Monaten »Uli, 38 Jahre, trockener Alkoholiker« geworden.
Hallo Welt, hier war ich wieder. Runderneuert, frisch gewaschen und gewachst. Trocken. Endlich.
Tagesbericht, Fachklinik Fredeburg
21. bis 22. Juni 2000
Ich habe mich über das Abschlussgespräch gefreut und darüber, dass ich die Therapie so gut durchgezogen habe. Am Donnerstag habe ich länger mit meiner Frau und den Kindern gesprochen. Meine Frau hat sich sehr für meine Therapie interessiert und viele Fragen
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