Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
schütten wollte, obwohl ich ihm zuvor ausführlich von meinem Problem berichtet hatte.
Gemeinsam mit Balli klapperte ich alle unsere alten Tränken ab. Ich wollte den Leuten zeigen, dass ich mich verändert hatte. Und zwar zum Positiven hin. Ich überstand diese ersten Konfrontationen problemlos. Doch nun meldete sich ein anderes Übel mit voller Lautstärke: Ich war faktisch pleite. Von meiner langen Karriere war mir kein Pfennig mehr geblieben. Die Autohäuser waren Vergangenheit, meine Uhrensammlung futsch, den Rest hatte ich längst versoffen. Im Gegenteil: Ich hatte Schulden, und das nicht zu knapp. Zudem lief die Scheidung mit Carmen im Hintergrund. Ich hatte kein geregeltes Einkommen, und nachdem ich mich offiziell als Untermieter bei Balli in Berlin angemeldet hatte, flatterten schon bald die ersten Mahnungen für ausstehende Unterhaltszahlungen und unbezahlte Rechnungen ins Haus. Es ging so weit, dass der Gerichtsvollzieher eine Wohnungsuntersuchung anordnete, jedoch ohne Erfolg. Was sollte sie mir denn auch wegnehmen und zu Geld machen? Meine alten Unterhosen? Ich war blank wie ein Mönch.
Wäre mein Freund Balli nicht gewesen, ich hätte wohl wieder bei meinen Eltern wohnen oder auf der Straße leben müssen. Er ließ mich umsonst bei sich wohnen, lediglich an den Telefonkosten beteiligte ich mich, wenn ich mal wieder etwas Geld gemacht hatte. Solche Menschen wie Balli gibt es nur wenige auf der Welt. Ich bin froh, so ein seltenes Exemplar kennengelernt zu haben.
Es half nichts, ich brauchte Geld. Was lag da näher, als mich in meinem zweiten Wohnzimmer, dem »Rockys Inn«, an den Spieltischen zu versuchen? Ich begann, Rommé zu lernen und bald auch zu spielen. Nach den ersten Lehrgeldwochen wurde ich immer besser und fing tatsächlich an, mit Kartenspielen Geld zu verdienen. Dabei kam mir ein entscheidender körperlicher Vorteil zugute: Während meine Spielpartner ein Bier nach dem anderen tranken und folgerichtig immer betrunkener und müder wurden, schüttete ich literweise Kaffee und Cola in mich hinein. Aufgeputscht und hochkonzentriert konnte ich stundenlang am Tisch sitzen und meine Gegner nach und nach mürbe machen. Einmal zockte ich sage und schreibe 32 Stunden am Stück durch. Wenn das »Rockys Inn« um zehn Uhr öffnete, stand ich bereits mit einer Zeitung in der Hand vor der Tür und setzte mich alleine an die Theke, bis gegen zwölf Uhr endlich die ersten Gegenspieler auftauchten. Wie so viele andere ehemalige Suchtkranke auch, machte ich eine Wandlung durch, die Sucht verlagerte sich. Rommé wurde zu meiner Ersatzdroge. Geradezu manisch sog ich alle Kniffe und Tricks auf, spielte bald rund um die Uhr. War ich spielsüchtig? Vermutlich schon. Aber alles war besser, als sturzbesoffen von einer Brücke zu stürzen, von einem Daumenbrecher wegen ein paar hundert Mark verprügelt zu werden oder mit Baseballschlägern vom Geburtstag seines eigenen Sohnes vertrieben zu werden, weil man nicht mehr Herr seiner Sinne war. Die Zockerei mochte nicht unbedingt das Gelbe vom Ei sein, doch zumindest hatte ich eine Beschäftigung und brachte etwas Geld mit nach Hause, denn normale Jobs waren rar gesät und lagen nicht auf der Straße – schon gar nicht in Berlin. Den ersten Lohn abseits des Fußballplatzes und der Spieltische verdiente ich mir gemeinsam mit Balli als Gärtner in der »Britzer Mühle« Anfang 2001. Zu zweit schufteten wir auf dem riesigen Grundstück und brachten die Blumenbeete und Bäume für den Frühling in Schuss. Dafür gab es etwas Geld – und Filetspitzen vom Besitzer. So hatte ich mir den Neuanfang nicht unbedingt vorgestellt, gleichzeitig war es ein schönes Gefühl, im Schweiße seines Angesichts zu malochen und dafür auch bezahlt zu werden.
So überstand ich die ersten Monate. Ich zuckelte von einem Tag zum anderen, machte mal hier ein paar Mark (und bald Euro), mal dort. Mit winzigen Schritten schlich ich zurück in den normalen Alltag. Sämtlichen Versuchungen aus Zapfhähnen oder Spirituosenregalen im Supermarkt hatte ich bislang widerstanden. Wie ich das schaffte? Ein Patentrezept gibt es für Suchtkranke nicht, jeder muss seinen eigenen Weg finden. Mir half (und hilft) sicherlich meine Vergangenheit als Fußballprofi. In den langen Jahren als Leistungssportler hatte ich ja auch von meiner eisernen Disziplin gelebt, diese Fähigkeit kam nun wieder zum Vorschein. Ich wusste ganz genau, wie gefährlich die Sauferei war, die einzige logische Konsequenz daraus war, nie
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