Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
Beobachter. Ich muss es auch sein.
Drei Menschen wurden für mich schon in den ersten Wochen meines Aufenthalts zu unverzichtbaren Stützpfeilern auf dem Weg durch meine Therapie: meine Therapeutin, der Cheftherapeut und mein Zimmernachbar Karl-Friedrich, auch er ein Alkoholiker, mit dem ich mich sehr schnell eng verbunden fühlte. Mit meiner Therapeutin hatte ich beinahe jeden Tag zu tun, und ihr Chef, seines Zeichens trockener Alkoholiker, hatte mich fest im Griff. Ihm konnte ich nichts vormachen, er ließ sich nicht mit billigen Ausreden und Ausflüchten abspeisen. Schließlich hatte er die ganze Scheiße selbst durchgemacht. Er war es auch, der mich vor die erste richtige Aufgabe stellte. »Uli, seit wann glaubst du, bist die psychisch abhängig?«, fragte er mich nach wenigen Tagen. Psychisch abhängig? Ich? Ich ließ seine Frage unbeantwortet und wand mich irgendwie heraus. Immer wieder sprach er mich anschließend darauf an. Und als ich Tage später noch immer keine vernünftige Antwort geben konnte, sagte er: »Wenn du das nicht aufarbeitest, dann schmeiße ich dich raus. Das verspreche ich dir.« Endlich brummte es in meinem Schädel. Gemeinsam gelangten wir zu folgender Erkenntnis: Schon am Anfang meiner Karriere, 1983, 1984, musste ich psychisch abhängig geworden sein. Wenn ich schon beim Training an das Bier danach dachte und Carmen zu einem vermeintlichen Ausflug nach Düsseldorf überredete, dann nur, weil mein Unterbewusstsein bereits nach dem nächsten Rausch verlangte. Ein kleiner Schritt in Bad Fredeburg, aber ein großer Schritt für mich. Es tat erstaunlich weh, mir selbst einzugestehen, wie viele Jahre ich eigentlich schon an der Flasche hing.
Karl-Friedrich wiederum half mir dabei, nach und nach meinen selbst fabrizierten eisernen Schutzmantel aufzubrechen und endlich einen Blick in mein Inneres zu werfen. Stundenlang saßen wir auf unserem Balkon und sprachen über alles, was uns bewegte und durch den Kopf ging. So offen und ehrlich über meine Gefühle zu sprechen, war absolutes Neuland für mich. Im Fußball ist so etwas einfach nicht möglich. Mit Lothar Matthäus oder anderen Mitspielern unterhielt ich mich vielleicht über die Macken des Trainers, den neuen Sportwagen vom Kollegen oder hübsche Frauen am Trainingsplatz, aber nicht über die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Kurzum: Einen Freund wie Karl-Friedrich hatte ich vorher noch nicht kennengelernt. Die gemeinsame Leidenszeit, die ähnliche Vergangenheit schweißte uns fest zusammen. Wieder lernte ich eine Lektion: Alleine kommt kein Mensch durch so eine Therapie. Wer sich innerhalb der Klinikmauern abschottet und glaubt, mit seinen Problemen alleine klarzukommen, der wird über kurz oder lang scheitern. Karl-Friedrich und ich bauten uns gegenseitig auf, motivierten uns, traten uns auch mal in den Hintern. Nicht selten flossen bei uns nach besonders intensiven Gesprächen Tränen.
Karl-Friedrich wurde auch deshalb so wichtig für mich, weil ich, im Gegensatz zu vielen anderen Mitpatienten, fast nie Besuch bekam. Ich führte viele gute Telefongespräche mit Carmen, häufig lud ich sie zu den Besuchertagen ein, häufig sagte sie auch zu. Doch jedes Mal fand sie einen anderen Grund, um den Besuch kurzfristig abzusagen. Teilweise konnte ich sie verstehen, dann aber auch wieder nicht. Ich fand es sehr schade, dass Carmen die Chance auf ein gemeinsames Gespräch mit meiner Therapeutin nicht nutzen wollte. Schließlich hatte auch unsere Beziehung Einfluss auf meine Krankheit gehabt. Meine kaputte Ehe, auch das musste ich in Fredeburg schmerzhaft feststellen, war eines meiner größten Probleme. Ganz klar: In meiner Beziehung zu Carmen hatte ich versagt, auf dem »Höhepunkt« hatte ich es sogar gewagt, meine eigene Frau tätlich anzugreifen. Dieses Versagen wollte ich mir nicht eingestehen. Anfangs versuchte ich den Vorfall im Treppenhaus sogar kleinzureden, erst als mich meine Therapeuten »weich geklopft« hatten, sah ich ein, dass ich mich so sehr für meine zahlreichen Ausfälle schämte, dass ich geglaubt hatte, es sei besser diese so gut es eben ging auszuklammern, wenn es um meine Ehe ging. Auch die eben angesprochenen angenehmen Telefonate mit Carmen waren Teil einer schrittweisen Entwicklung. Zu Beginn meiner Therapiezeit war ich noch häufig ausfällig geworden und hatte meine Frau wüst beschimpft. Diese Gespräche hatten dann jedes Mal in wilden Schuldzuweisungen geendet. Erst nach einigen Wochen in Fredeburg gelang es mir,
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