Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
drei Backgammon gespielt hatten – natürlich um Geld –, machte er kurzen Prozess und setzte die »Backgammon-Sünder« am darauf folgenden Spieltag gegen Eintracht Frankfurt auf die Tribüne. Spielsperre wegen Backgammon, das konnte es nur bei der Borussia geben. Jetzt kann ich es ja sagen: Auch ich war damals Teil dieser Zockerrunde! Als es an unserer Tür klopfte, war ich es, der öffnete. Weil ich allerdings sofort erfasste, wer der unangekündigte Besucher war, war ich blitzschnell hinter die Tür gesprungen – und wurde so von Jupp Heynckes schlichtweg übersehen.
Jupp Heynckes konnte man ohnehin nichts vormachen. Er schien eine Art dritten Sinn für seine Spieler zu haben. Wenn wir am Abend vorher mal ein wenig zu tief ins Glas geschaut hatten, brauchte uns Jupp vor dem Training nur kurz in die Augen zu sehen und schon wusste er genau, wann wir im Bett gewesen waren. Diese Menschenkenntnis war fast schon unheimlich, für einen erfolgreichen Trainer allerdings unentbehrlich.
Und dank dieses Einfühlungsvermögens startete ich als Stammspieler in die Saison 1982/83. Wenn auch nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Zum Auftakt in die neue Spielzeit empfing uns Schalke 04 im heimischen Parkstadion. Die Schalker waren damals eine Attraktion in der Liga, jedenfalls frisurentechnisch. Die drei Glatzenträger Manfred Drexler, Hubert Clute-Simon und Ulrich Bittcher konnte man schon aus weiter Ferne an den glänzenden Fleischmützen erkennen. Durch Tore von Matthäus, Kurt Pinkall und Wolfram Wuttke führten wir nach 55 Minuten bereits mit 3:0, und ich genoss einen äußerst gemütlichen Nachmittag. Nach einer Stunde verabschiedete sich mit Clute-Simon der erste Glatzenmann, Schalkes Trainer Siggi Held schickte dafür Ilyas Tüfekci auf den Platz, einen nur 1,64 Meter großen Türken. Am Seitenrand sah ich Jupp Heynckes auf und ab hüpfen, trotz der beruhigenden Führung wild gestikulierend. »Uliii«, brüllte mein Trainer, »das ist deiner« – er zeigte auf Tüfekci – »pass bloß auf!« Ich hob den Daumen. Gegen dieses halbe Hemd sollte das kein Problem sein. Was soll ich sagen? Innerhalb von nur drei Minuten hatte das halbe Hemd mir einen Knoten in die Beine gespielt und zwei Tore erzielt. Jetzt war auf Schalke aber der Teufel los! Mit Müh und Not und einem späten Tor von Hans-Günter Bruns retteten wir den Sieg über die Zeit. 4:2-Erfolg hin oder her, in der Kabine bekam ich trotzdem erst einmal mein Fett weg.
Ein Sieg zum Saisonauftakt, das war es dann aber auch beinahe mit den Erfolgsgeschichten in dieser Saison. Von den 17 Spielen der Hinrunde verloren wir elf, zur Winterpause standen wir auf Platz zwölf. Die Abstiegsplätze waren näher als uns lieb war. Entsprechend angespannt war die Stimmung. Immerhin: Wir gerieten trotz der schlechten Stimmung nicht in Panik. Was ganz sicher auch daran lag, dass es Jupp Heynckes in den Jahren zuvor gelungen war, aus der Mannschaft eine echte Einheit zu formen. Diese Einheit hatte ihre Rituale, und die galt es zu pflegen. Vor Heimspielen lief bei uns immer das gleiche Programm ab. Einen Tag vor dem Spiel trainierten wir vormittags auf Platz 11 und bezogen dann das Parkhotel in Süchteln, ein Haus, das mich jedes Mal an die Villa Kunterbunt von Pippi Langstrumpf erinnerte. Rudi, der Oberkellner, begrüßte uns stets an der Rezeption, um seinen Hals hing die obligatorische schwarze Fliege. Beim Mittagessen luden wir uns ordentlich die Teller voll, Nasi Goreng, Hähnchenkeule, Cordon Bleu, dazu vielleicht noch eine Käseplatte – alles, was schmeckte, war auch erlaubt. Anschließend ging es auf die Zimmer zur Mittagsruhe, entspannte Stunden, die in späteren Jahren lediglich durch Ewald Lienen gestört wurden. »Müsli-Ewald«, wie wir ihn nannten, fühlte sich berufen, vor allem uns jüngere Spieler von den angeblich unschlagbaren Vorteilen eines frisch gemahlenen Müslis zu überzeugen. Gesunder Ernährung war ich als Leistungssportler natürlich nicht generell abgeneigt, aber Ewald ging mir damals doch ziemlich auf den Keks. Während wir anderen versuchten, ein kleines Mittagsschläfchen zu halten, röhrte aus Ewalds Zimmer die mitgebrachte Müsli-Maschine. Wie viele schlechte Träume dieses Teil ausgelöst hat, möchte ich gar nicht wissen.
Nach der Mittagsruhe folgte der wichtigste Teil unserer Heimspielvorbereitung: Gemeinsam fuhren wir durch den Süchtelner Wald zu der dort gelegenen Natur-Minigolfbahn, bestellten Kaffee und Kuchen und
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