Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
mehr Zuschauer anzulocken, verlegte unsere Vereinsführung das Heimspiel kurzerhand ins Düsseldorfer Rheinstadion. Ein fremder Platz, für uns kein Problem. Im Schneeregen von Düsseldorf machten wir eines der besten Spiele in der Geschichte von Borussia Mönchengladbach und gewannen mit 5:1. Die knallharte Defensive von Real Madrid, bestückt mit Ausnahmekönnern wie Rafael Gordillo oder José Antonio Camacho, gegen die selbst ich wie ein Friedensapostel wirkte, wurde einfach auseinandergenommen! Und wem hatten wir diesen Sieg zu verdanken? Natürlich unserem Trainer Jupp Heynckes. Er hatte uns perfekt auf die Favoriten aus Spanien eingestellt. Das sagt sich zwar immer so leicht, aber bei Jupp stimmte diese Floskel einfach. Ich kann es mir nur so erklären, dass wir alle einfach großen Respekt vor unserem Trainer und seinen Erläuterungen vor solch wichtigen Spielen hatten. Jupp war schließlich selbst mal Spieler gewesen, und was für einer! Einem Weltklassemann, der schon beim legendären »Büchsenwurfspiel« gegen Inter Mailand für Borussia Mönchengladbach auf dem Platz gestanden hatte, glaubte ich natürlich jedes Wort bei einer Kabinenpredigt vor dem Spiel gegen Real Madrid. Nichts gegen studierte Quereinsteiger, aber ich persönlich hätte Probleme mit solchen Trainertypen bekommen.
So aber, mit einer Vereinskoryphäe an der Seitenlinie, spielten wir gegen Real wie auf Drogen, wie in einem Rausch. Vielleicht waren wir das auch in diesem Spiel: fußballhigh! Bis fünf Uhr morgens lag ich in der Nacht nach dem Spiel wach und verfolgte das übliche Kino in meinem Kopf. Und die Droge Real wirkte weiter nach: Am Wochenende nach dem Sieg im UEFA-Cup hauten wir, quasi im Vorbeigehen, den FC Bayern mit 4:2 aus dem eigenen Stadion. Wunderbare Tage. Und von Angst keine Spur.
Bis zum 11. Dezember 1985. Dem Rückspiel gegen Real Madrid. Der vielleicht schlimmsten Niederlage meiner Karriere.
Ich kann heute gar nicht mehr genau sagen, wann die Angst begann, durch meinen Körper zu kriechen und mich zu lähmen. War es schon in den Stunden vor dem Spiel, als wir gemeinsam mit Jupp Heynckes den ewig langen Spielertunnel im Bernabeu-Stadion durchquerten und das erste Mal den heiligen Rasen betraten? Oder erst beim Warmmachen, als wir mit zitternden Knien auf den Platz schlichen und die Pfiffe von 93000 Menschen hörten? Auf riesigen Leinwänden zeigte die Stadionregie den 6:2-Sieg von Real Madrid in der zweiten Runde gegen den RSC Anderlecht, der genau hier so grausam unter die Räder gekommen war. Sechs Tore, jeder Treffer ein Warnhinweis für uns: Hier gibt es für euch nichts zu holen! Bei jedem Tor brüllten 93000 Menschen »Olé!«, und wenn wir Spieler den Blick auf die andere Seite wagten, standen dort Camacho, Butragueno, Valdano und all die anderen Madrilenen, allen voran Santillana und Sanchez, und gaben uns mit deutlichen Gesten zu verstehen, dass sie bereit waren, uns in diesem Spiel fertig zu machen.
Unsere Reaktion? Wir schissen uns vor Angst fast in die Hosen. Es wurde sogar noch schlimmer: Als uns der Schiedsrichter aus der Kabine pfiff, standen dort schon die Spanier und warteten auf uns. Den Spielertunnel im Bernabeu trennt in der Mitte ein Zaun; als wir uns im Tunnel aufreihten, hingen unsere Gegenspieler bereits an dieser Barriere, ganz offensichtlich hatten sie sich vor dem Spiel noch angesoffen, sie brüllten uns an und ich roch ihre Rotwein-Fahnen. Diese Männer hatten Schaum vor dem Mund, waren vollkommen wahnsinnig vor Siegeswillen und wir gaben uns vollends der Angst hin. Nie wieder habe ich mich so gefürchtet, ein Fußballstadion zu betreten.
Es kam, was kommen musste: Schon nach 18 Minuten lagen wir mit 0:2 hinten, nach 76 Minuten fiel das dritte Tor für Real, in der 89. Minute schoss Santillana das entscheidende 4:0 und verschwand in der tosenden Menge. Aus und vorbei, die Blamage war perfekt. Nach einem 5:1 im Hinspiel hatten wir es tatsächlich geschafft und waren aus dem UEFA-Cup geflogen. Müßig zu erwähnen, dass Frank Mill in der ersten Halbzeit auch noch die große Chance auf ein Auswärtstor vergeben hatte. Ganz alleine war der gute Frank von der Mittellinie auf das Tor von José Manuel Ochotorena zugerannt, doch er beging den Fehler, sich 40 Meter vor dem Tor umzudrehen und in das Gesicht von Camacho zu blicken. Die irre Fratze des spanischen Nationalverteidigers wird Frank wohl sein Leben lang nicht vergessen. Auch ich war mir sicher: Wenn Camacho Frank noch erreicht,
Weitere Kostenlose Bücher