Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
dann wird er versuchen, ihn umzubringen! 20 Meter vor dem Tor haute Frank einfach drauf, der Ball ging zehn Meter neben dem Pfosten ins Aus. Ich machte meinem Kollegen nach dem Spiel keine Vorwürfe. Auch ich hatte eine Scheißangst gehabt. Du verlierst zusammen, du gewinnst zusammen. Diesmal hatten wir alle gemeinsam versagt. Geschockt packten wir unsere Taschen, verschwanden in den Bus, der uns zum Flughafen brachte, und flohen aus Madrid.
Ein Tag später. Das erste Training nach der Niederlage gegen Real Madrid. Grußlos betrat Jupp Heynckes die Kabine, er zog einen Stuhl hinter sich her und setzte sich in die Mitte des Raums. Er schaute uns an. Minutenlang. Längst hatte ich mein Gesicht, so gut es denn ging, hinter meiner Trainingshose versteckt, die am Haken hing. Dann brach der Sturm los.
»Ich habe fünf Versager gezählt«, brüllte Jupp und nannte die Namen von Winnie Hannes, Frank Mill, Uwe Rahn, Hans-Jörg Criens. Und Uli Borowka. Wir, seine wichtigsten Spieler, hatten ihn am meisten enttäuscht. Jupp machte uns brutal zur Schnecke und wieder war es da, dieses Gefühl der Angst. Wie tief diese Niederlage Jupp getroffen hatte, bewies die Standpauke, der er dem armen Thomas Krisp hielt. Krisp, ein junger Spieler, der gegen Real ebenfalls zum Einsatz gekommen war, traf noch die geringste Schuld am Ausscheiden, aber was tat das nun noch zur Sache? »Wer bist du denn überhaupt?«, schrie Jupp ihn an. »Wer zur Hölle hat dich überhaupt verpflichtet?« Ein grausames Schauspiel. Wir alle waren froh, als wir endlich die fälligen Strafrunden laufen durften.
Die nächsten Wochen und Monate verfolgte mich das Real-Spiel bei jedem Schritt, den ich unter der Leitung meines Trainers machte. Heynckes ließ mich und die anderen »Versager« einfach links liegen. Sein Ritual, den Spielern jeden Morgen die Hand zu schütteln, galt für mich plötzlich nicht mehr, und auch in den Trainingseinheiten strafte er mich mit Verachtung. Es war zwar nicht das erste Mal, dass ich ein schlechtes Spiel gemacht hatte, aber diese Niederlage nahm der Trainer persönlich. Bereits am 14. Dezember 1985, drei Tage nach dem Spiel im Bernabeu, trafen wir auf Schalke 04. Wegen Problemen mit den Adduktoren hatte ich mir nach dem Real-Spiel von unserem Mannschaftsarzt Dr. Sellmann eine Spritze geben lassen, die ihre Wirkung nicht verfehlte. Am Tag vor dem Spiel marschierte ich ins Büro von Jupp Heynckes, um ihm die erfreulichen Neuigkeiten zu übermitteln. Als ich das Zimmer betrat, drehte er sich demonstrativ weg. Ich sprach trotzdem meinen Text: »Trainer, die Spritze hat gewirkt. Gegen Schalke wird es gehen.«
Was machte Jupp? Drehte sich zu seinem Co-Trainer Wolf Werner um und sagte: »Wolf, sag dem Uli mal, dass mir das so was von egal ist, ob er fit ist oder nicht! Der spielt morgen nämlich eh nicht.«
Wolf Werner, dem die Situation sichtlich unangenehm war, übersetzte, was ich längst verstanden hatte. Beim 2:2 gegen Schalke saß ich schließlich noch nicht einmal auf der Ersatzbank und auch eine Woche später, gegen Bayer Uerdingen, musste ich das Spiel von der Tribüne aus verfolgen. Mein Glück, dass mich die Winterpause vor weiteren Tiefschlägen solcher Art bewahrte.
Die Angst aber blieb. Sollte es das schon gewesen sein mit meiner Karriere in Mönchengladbach? Zerstört durch die Schande von Madrid? Warum war der Trainer – mein größter Förderer und Unterstützer – plötzlich so grausam? Heute verstehe ich Heynckes. UEFA-Pokal, Achtelfinal-Rückspiel gegen den bekanntesten Verein der Welt mit einer 5:1-Führung im Rücken – genau für so ein Spiel hatte er uns doch jahrelang trainiert, mit uns sein Wissen geteilt, mit uns gelitten und gejubelt. Und was taten wir? Versagten im entscheidenden Moment, ganz einfach, weil wir die Hosen gestrichen voll hatten! Dass ausgerechnet ich, sein Schützling, den er doch dazu erzogen hatte, zur Not auch den Teufel in Manndeckung zu nehmen, dieses Spiel vergeigt hatte, machte ihm noch zusätzlich zu schaffen. Fazit: Als wir uns nach der Winterpause zum ersten Training im Jahr 1986 trafen, wusste ich nicht, ob ich jemals wieder ein Pflichtspiel für die Borussia unter dem Trainer Jupp Heynckes würde absolvieren dürfen.
Ich durfte. Sogar ganze 15 Mal in der Rückrunde, die wir wieder auf Platz vier abschlossen. Aber es dauerte bis in den Februar hinein, ehe sich unser Verhältnis wieder normalisiert hatte, ja, er mir sogar wieder die Hand gab. Ob mir diese Monate des
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