Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
Selbstzweifels eine Lehre waren? Ja und nein. Ja, weil ich, der Newcomer mit dem Eisenfuß, dadurch zurechtgestutzt wurde wie eine Gartenhecke und nun wieder neu wachsen durfte. Aus Fehlern lernt man, und meine Lektion aus dem Ausflug nach Madrid hatte ich definitiv gelernt: Angst ist menschlich, aber wenn du als Sportler Angst hast, ist alles verloren. Ganz egal, wie talentiert du bist. Angst lähmt alle Talente. Ich habe es nie wieder zugelassen, beim Fußball in so eine Situation zu kommen.
Nein, weil mich diese Zeit natürlich enorm belastete. Sicher, damit muss man als Leistungssportler klarkommen, aber mir persönlich fehlte das richtige Ventil. Ich löste die Probleme auf meine Weise – und versuchte sie mit Alkohol runterzuspülen. Je mehr ich soff, desto mehr verflüssigte sich der Druck in meinem Kopf. Keine Ahnung, wie meine Kollegen diese Situationen lösten. Wir haben nie darüber gesprochen. Schwächen zeigen? Als Fußballer? In den achtziger Jahren? Nie im Leben. Die einzige Person, mit der ich mich über diese Dinge unterhalten konnte, war Winnie Hannes. Aber selbst mit meinem Mentor kratzte ich in unseren Gesprächen nur an der Oberfläche des Problems. Schade eigentlich. Erst viel später sollte ich erkennen, wie wichtig es sein kann, im richtigen Moment einfach mal den Mund aufzumachen.
Das letzte Spiel der Saison fand in München statt, gegen die Bayern. Wir kamen fürchterlich unter die Räder, am Ende stand es 0:6. Ein neuerlicher Nackenschlag für uns, die Fans und vor allem unseren Trainer. Auch diese Spielzeit beendeten wir ohne einen Titel. Auf der Rückfahrt von München nach Mönchengladbach sprach Jupp kein Wort. Im restlichen Teil des Busses war es ebenfalls mucksmäuschenstill. Gerne hätten wir das Spiel beim Kartenspielen oder ein paar launigen Herrenwitzen vergessen gemacht, aber dem bunten Treiben in seinem Rücken hatte Jupp längst einen Riegel vorgeschoben. Ganz vorne rechts, gleich neben seinem angestammten Platz, hatte der Trainer einen riesigen LKW-Spiegel anbringen lassen, ein Blick in dieses Ungetüm genügte und er hatte uns alle im Blick. Big Jupp is watching you. Da war sie wieder, die Angst.
Tagesbericht, Fachklinik Fredeburg
23. März 2000
Beim Autogenen Training hatte ich so meine Schwierigkeiten. Die Therapeutin sagte mir, der linke Arm würde warm werden, aber stattdessen wurde mein rechtes Bein warm. Ich musste mir ein Schmunzeln verkneifen. Die Stunde hat mir nichts gebracht. In der Gruppe sollte Hendryk seine Heimatlage vortragen. Am meisten hat mich gestört, dass wir ihm alles aus der Nase ziehen mussten, und der Spruch: »Ich lasse alles auf mich zukommen.« Die Themenstunde über »Therapie und was kommt danach?«, ist kein einfaches Gebiet. Ich muss in der Hinsicht lernen, auch nach der Therapie mit Rückschlägen umzugehen. Ich meine Rückschläge im privaten Bereich. Ich meine keinen Rückfall zum Alkohol.
24. März 2000
In der Teamvollversammlung gab es keine besonderen Vorkommnisse. Falsch. Ich habe die verantwortungsvolle Aufgabe, die Kegelbahn in den nächsten Wochen auf- und zuzuschließen. Telefongespräche mit meiner Frau und meinen Kindern sind sehr positiv, weil ich auch ruhig bleibe, wenn meine Frau laut und angreifend am Telefon wird. Ich versuche sie dann mit Argumenten zu meiner Krankheit zu konfrontieren. Bei einem Gespräch sagte sie, ich müsse froh sein, dass sie überhaupt anrufe. Ich sagte ihr, dass ich sie doch nicht gedrängt hätte anzurufen, bedankte mich aber für ihren Anruf. Früher habe ich meine Frau immer gedrängt, mich anzurufen, oder war sauer, wenn ich nicht durchkam. Ich machte ihr Vorwürfe und wurde aggressiv. Ich kann damit jetzt schon ganz gut umgehen, wenn sie nicht anruft, weil ich weiß, dass sie mich dann eben am nächsten Tag anruft.
25. bis 26. März 2000
Samstagmorgen beim Arztvortrag konnte ich für mich nicht viel mitnehmen. Die ganzen Fachausdrücke kannte ich gar nicht. Oder aber das Thema hat mich nicht interessiert. Am Nachmittag habe ich mich erstmal hingelegt und ein bisschen geschlafen. Danach Fußball geguckt. Am Sonntag war ich in der Werkstatt und habe die Fensterbilder zu Ende gemacht. Meine Frau wollte mir noch ein schlechtes Gewissen machen, indem sie sagte, dass ein Freund von Tomek nicht mehr mit ihm spielen wolle, weil sein Vater, also ich, des Öfteren Ärger gemacht habe …
ABSCHIED AUS MÖNCHENGLADBACH
Die schöne Frau war mir in der Disco gleich aufgefallen: Wie sie sich
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