Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
nahmen auch Physiotherapeut Holger Berger und Mannschaftsarzt Dr. Meschede an der Party teil, nicht aber der Trainer, Otto Rehhagel. Keine Mannschaft der Welt wäre so blöd, den Trainer zu einem Abend wie diesen einzuladen. Hatte ich noch auf einen recht gemütlichen Umtrunk gehofft, als wir den Laden, ein italienisches Restaurant, betraten, wurde ich schon bald eines Besseren belehrt. Kaum war der Hauptgang verdaut, stand auch schon Thomas Schaaf mit einem Tablett vor Kalle und mir. »So«, grinste Thomas, »wir drei trinken jetzt mal einen Calvados zusammen.« Wir stießen an und leerten lässig die Gläser. Keine Minute später stand schon der Nächste vor uns. Wieder ein Tablett, wieder drei Gläser, ein anderer Schnaps. Und noch einer. Und noch einer. Und … Sagenhafte 25 Schnäpse mussten wir kippen, bis das erste Ritual überstanden war! Nicht aber der Abend, denn der fing jetzt erst richtig an. Nach vielen weiteren geleerten Gläsern, stellte sich Physiotherapeut Holger Berger vor die versammelte Mannschaft und bat Kalle und mich nach vorne. »Lieber Uli, lieber Karl-Heinz«, fing der Physio an, »es ist üblich bei uns, dass die Neuzugänge ein bisschen was von sich erzählen. Uli, mach du doch den Anfang.« Also legte ich los. Erzählte von meiner Mutter und meinem Vater. Vom FC Oese, vom DSC Wanne-Eickel, von der Putzkammer, Jupp Heynckes, dem Elfmeterschießen, von … »Langweilig! Buh! Aufhören!« Meine biografische Kurzbeschreibung wurde von meinen neuen Mitspielern vorzeitig beendet. War ich den Jungs zu öde? »Was wollt ihr hören?«, rief ich. »Die interessanten Storys natürlich«, hallte es zurück. Und was bedeutet »interessant« in einer Horde junger Männer, die schon leicht einen im Kahn haben? Na klar, Lach- und Sexgeschichten. Ich wollte kein Spielverderber sein und erzählte von den ersten Discobekanntschaften, anderen Liebschaften und sicherlich auch die eine oder andere Geschichte, in der meine Frau auftauchte. Apropos meine Frau! Der Tag nach unserer Einstandsparty war unser Hochzeitstag, eigentlich hatte mich Carmen schon früh abholen sollen, doch das ging jetzt natürlich nicht mehr. Mehr als einmal rief ich, inzwischen doch übel angeschossen, zu Hause an, um meine Gattin zu vertrösten. Entsprechend wenig feierlich war mir am nächsten Morgen zumute, was Carmen überraschenderweise gar nicht so toll fand. Ich quälte mich durchs Frühstück und schaffte es doch tatsächlich bis auf den Trainingsplatz. Wo bereits Otto Rehhagel auf uns wartete. Selbstverständlich wusste er, was sich am gestrigen Abend abgespielt hatte, dafür reichte Otto ein kurzer Blick in die zerknitterten Gesichter seiner Spieler. Wenig überraschend, dass wir an diesem Tag doppelt so lange wie sonst trainieren mussten … Erst spät am Nachmittag wackelte ich nach Hause. Den Einstand beim SV Werder Bremen hatte ich gerade so überlebt.
Auch aufgrund dieser rituellen Aufnahme fühlte ich mich schon nach kurzer Zeit bei Werder, als hätte ich jahrelang nie woanders gespielt. Carmen und mir gefielen die Stadt und die neue Unterkunft auf Anhieb. Beate Rehhagel, Ottos Frau und neben dem Spielfeld seine rechte Hand, kümmerte sich aufopferungsvoll um die Spielerfrauen, häufig lud sie die Damen zu gemeinsamen Treffen ein und sorgte so für ein harmonisches Verhältnis. Wie wichtig diese persönlichen Bindungen sind, brauche ich heute, wo es in großen deutschen Vereinen Spieler gibt, die sich noch nach Jahren fremd in der neuen Stadt fühlen, nicht zu betonen. Weil auch Carmen durch Beates Fürsorge schnell sozialen Anschluss fand, konnte ich mich voll und ganz auf meinen Job konzentrieren. Das war eine der großen Stärken des Trainers Otto Rehhagel: Er kümmerte sich nicht nur darum, seine Fußballer über den Platz zu scheuchen, nicht nur um die Taktik des nächsten Gegners, sondern auch um einen geradezu familiären Zusammenhalt in seinem Verein. Die viel zitierte »Werder-Familie« – in diesen Jahren hat es sie in Bremen tatsächlich gegeben.
Natürlich gehörten dazu für mich in erster Linie meine neuen Mitspieler. Von Kalle Riedle habe ich bereits erzählt. Ihn im Training zu beobachten, war ein Spektakel, gegen ihn ins Kopfballduell zu gehen, eine Demütigung. Sprangen wir gemeinsam zum Ball, stand »Air Riedle« noch in der Luft wie ein Kolibri, während ich schon wieder auf dem Rasen landete. Mein Partner in der Innenverteidigung war Rune Bratseth, ein Norweger, den nichts, aber auch gar
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