Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
nichts aus der Ruhe bringen konnte. Was nicht unbedingt an seiner Ernährung gelegen haben dürfte: Rune, durch und durch Athlet, trank jeden Tag literweise Cola! Wer weiß, wie sich der stille Rune ohne seinen täglichen Koffein-Schub verhalten hätte. Nur einmal habe ich ihn in den all den Jahren ausrasten sehen: Beim legendären Spiel gegen den RSC Anderlecht, als wir zur Pause mit 0:3 zurücklagen. Aber davon später mehr.
In der Saison 1987/88 war Rune jedenfalls die Ruhe in Person und vor allem ein erstklassiger Manndecker. Verlor ich mal einen Zweikampf oder wurde von einem schnellen Stürmer überrannt, konnte ich mir sicher sein, dass der »Elch« den Gegner schon einfangen würde. Niemals habe ich einen schnelleren Fußballer gesehen als Rune Bratseth. Eine Szene habe ich noch ganz genau vor Augen: Wir spielten gegen Borussia Dortmund, bei einem Konter der Dortmunder fiel der Ball vor die Füße von Andreas Möller, damals angeblich einer der schnellsten Fußballer überhaupt. Andy hatte bereits gute acht Meter Vorsprung, als sich Rune an der Mittellinie in Bewegung setzte. Was soll ich sagen: An der Strafraumgrenze hatte er Möller eingeholt und ihm elegant den Ball von den Füßen gespitzelt.
Entsprechend langweilig war dann auch ein Ritual, dass Otto alle paar Monate im Training veranstaltete. Auf sein Zeichen hin mussten wir von der Grund- bis zur Mittellinie sprinten, der Gewinner durfte sich auf Ottos Kosten eine Krawatte kaufen. Unnötig zu sagen, wer dieses Rennen jedes Mal gewann. Selbst wenn er nur mit halber Kraft Gas gab, reichte es Rune, um uns abzukochen. Einmal allerdings drehten wir den Spieß um. Noch vor dem obligatorischen Krawattensprint hatten wir Spieler vereinbart, dass unser Oldie Manni Burgsmüller, zu Beginn meiner Bremer Zeit immerhin schon 37 Jahre alt, das Rennen gewinnen würde. Otto staunte natürlich nicht schlecht, als Manni lässig als Erster über die Mittellinie trabte. »Rune«, blaffte er Bratseth an, »was ist da los?« Der ganz cool: »Der Manni kann schon schnell sein, wenn er will.« Otto wollte kein Spielverderber sein und sagte: »Gut, Manni, dann holen sie sich mal ’ne ordentliche Krawatte.« Da hatte er die Rechnung aber ohne Manfred Burgsmüller gemacht: Im Bremer Edelkaufhaus Stiesing kleidete sich Manni von Kopf bis Fuß neu ein: Schuhe, Anzughose, Hemd, Anzug – und Krawatte. Kostenpunkt: 700 DM! Otto klappte beinahe zusammen, als Manni ihm die Quittung übergab. »700 DM für eine Krawatte!«, rief Otto. »Ja, Trainer«, antwortete ihm Manni, »das ist auch eine ganz außergewöhnliche Krawatte.« Zähneknirschend beglich Otto seine Ehrenschulden. Anschließend hat es nie wieder ein Krawattenrennen in Bremen gegeben.
Einen Typen wie Manni Burgsmüller musste man einfach lieben. Für mich ist er jedenfalls einer der genialsten Stürmer, die je in der Bundesliga gespielt haben. Als wir uns in Bremen erstmals als Mitspieler begegneten, hatte er bereits 20 Jahre Bundesligaerfahrung auf dem Buckel. Ein Routinier, ein Schlitzohr, siebenmal chemisch gereinigt. Manni kannte alle legalen und illegalen Tricks. Jahrelang hatte ich als sein Gegenspieler erfahren müssen, wie abgezockt er vor dem Tor sein konnte. Manni, anders konnte ich es mir nicht erklären, musste ein genetisches Wunderwerk sein. Wie sonst war es zu erklären, dass er Dinge sah, die man nur mit einem Augenpaar am Hinterkopf sehen konnte? Hinzu kam ein fast unheimliches Gespür für die Bewegung des Balles. Schlug sein Mitspieler eine Flanke auf den kurzen Pfosten, bewegte sich Manni einfach an den langen Pfosten, irgendwie landete der Ball genau da und er musste nur noch das Tor machen. Unglaublich.
Ein paar Worte muss ich auch über meine Kollegen in der Defensive verlieren, schließlich bildeten wir in den folgenden Jahren ein äußerst robustes Kollektiv. Da war zum einen unser Libero Gunnar Sauer, fußballerisch das komplette Gegenteil von mir. Während ich technisches Unvermögen durch Härte und eine sehr radikale Spielweise auszugleichen versuchte, bewegte sich Gunnar mit der Eleganz eines Balletttänzers über den Rasen. Und so entspannt, wie er Fußball spielte, war auch sein Charakter. Ein verrückter Vogel. Eine Szene werden Werder-Fans bis heute sicherlich nicht vergessen haben. Sie passierte in jener Saison 1987/88 beim 3:1-Sieg gegen Bayern München. Nach 25 Minuten flog der Ball in Höhe unseres Strafraums über die Seitenlinie, keiner wusste so recht, welche Mannschaft
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