Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
ist: Wer abbricht, ist für sich selbst zuständig. Entweder ich ziehe die Therapie durch oder ich merke schon rechtzeitig, dass mir das nichts bringt. Ich verstehe auch die Meinung der Therapeuten, die sich auch ihre Meinung zu jedem einzelnen machen. PS: Meine Frau ist am Samstag tatsächlich nicht gekommen.
1. bis 2. April 2000
Der Samstagmorgen begann mit dem Arztvortrag, der wieder einmal vom Rauchen handelte. Ich weiß nicht, ob ich noch einmal aufhöre zu rauchen, im Moment aber nicht. Am Samstag waren wir mit fünf Mann beim Fußball in Fredeburg. Das hat Spaß gemacht zuzugucken. Ich war ein wenig traurig, weil ich viele Mitpatienten sah, die Besuch hatten. Ich komme damit aber gut klar, weil ich weiß, dass ich nichts übers Knie brechen kann.
3. April 2000
Ich habe heute sehr viele Gedanken im Kopf. Zu viele. Mir fällt es schwer, es heute alles umzusetzen und aufzuschreiben. Es geht um den Selbstmord von Wolfgang. Ich kann nur sagen, dass das nicht spurlos an mir vorbeigeht. Wenn ich das alles verarbeitet habe, kann ich bestimmt etwas dazu schreiben. Nur dieses: Der Spruch im Zusammenhang mit Wolfgangs Tod, dass die Gefühle stärker seien als alle Gedanken oder guten Vorsätze zusammen, hat mich sehr nachdenklich gemacht.
4. April 2000
In der Themengruppe habe ich heute meinen Suchtbericht vorgetragen. Hat ganz gut hingehauen. Heute hat schon wieder einer abgebrochen aus Team III. Es geht in der letzten Zeit ganz schön rund im Team. Abbrüche, dann Wolfgangs Tod – darüber mache ich mir viele Gedanken. Wieso und warum passieren diese Dinge?
DEUTSCHER MEISTER 1988
Die Regelmäßigkeit, mit der wir Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger unter Flutlicht unsere Gegner im Weserstadion empfingen, war beeindruckend. Dahinter steckte Kalkül: Jeder der Verantwortlichen wusste um die Bremer Heimstärke, die Abendspiele gaben uns noch eine zusätzliche Motivation. Also forderte Otto beim Manager so viele Abendspiele wie möglich an und der kleine Mann tat sein Bestes. In der Hinrunde der Saison 1987/88 spielten wir immerhin dreimal am Freitagabend zu Hause, eine ansehnliche Bilanz. Noch ansehnlicher: Wir gewannen alle drei Spiele souverän. Doch die Heimstärke von Werder war schon vor dieser Spielzeit in der Bundesliga bekannt. Mit dieser Runde kam eine neue Form des Selbstbewusstseins dazu. Warum, fragten wir uns, traten wir nicht auch auswärts so auf wie bei Heimspielen? Spielbestimmend, aggressiv, offensiv. Ende der achtziger Jahre war das ein geradezu revolutionäres Verhalten, aber in dieser Saison zogen wir es unbeeindruckt durch. Schon in der gegnerischen Hälfte griffen wir den Gegner an und kontrollierten so das Spielgeschehen. »Frühzeitiges Pressing« nennt man das heute. Was gegenwärtig bei Spitzenmannschaften gang und gäbe ist, war damals noch ganz neu. Wir profitierten dabei von zwei entscheidenden Vorteilen: Erstens waren wir Spieler zu dieser Spielweise in der Lage, zweitens hatten wir mit Otto Rehhagel einen Trainer, der ein unglaubliches Gespür für die Taktik des Gegners besaß. Es war sensationell: Von 400 Spielen lag Otto mit der Einschätzung der gegnerischen Aufstellung in 396 Fällen richtig! Er hatte überall im Land seine Spione, kannte selbst die Geliebte des Platzwarts vom gegnerischen Verein und nutzte sein Wissen wie kein Zweiter. Wie häufig verschwand er vor wichtigen Spielen, um noch schnell mit einem seiner Informanten zu sprechen.
Ein hervorragendes Beispiel für Rehhagels außergewöhnliche Fähigkeiten als Trainer durfte ich am vierten Spieltag der Saison 1993/94 erleben. Wir spielten auswärts beim SC Freiburg, der damals unter Volker Finke die vielleicht beste Zeit seiner Vereinsgeschichte hatte. Finke galt in den Medien als die neue und modernere Trainerfigur, ein Lehrer und Pädagoge, kein altbackener Typ in Trainingsklamotten und Pfeife im Mund. So das Klischee. Otto regte das fürchterlich auf. Er, ein Kind der Bundesliga, sollte angeblich von einer Figur wie Finke überholt worden sein. Ein Studierter mit Brilli im Ohrläppchen! In den Tagen vor dem Spiel gegen Freiburg war er aufgekratzt wie selten. »Meine Herren, das geht nun mal gar nicht, dass Sie gegen diese Mannschaft und diesen Trainer verlieren!« Erst am Freitag vor dem Spiel wurde er wieder ruhiger. Und beim Frühstück am Samstagmorgen war er plötzlich die Gelassenheit in Person. Das erschien uns verdächtig, der Trainer führte irgendwas im Schilde. Und siehe da: In der Besprechung
Weitere Kostenlose Bücher