Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
sein, denn als er um vier Uhr morgens sichtlich angeschossen über den Hotelflur stolperte, lief er doch tatsächlich Otto Rehhagel in die Arme. Das alleine hätte Huning schon eine Menge Ärger eingebracht, doch der Gute leistete sich folgenden Dialog, der in den kommenden Jahren wiederholt für Lacher bei den Mannschaftsabenden sorgte. Rehhagel: »Wo wollen Sie denn hin?« Huning: »Trainer, gehen Sie schon mal ins Bett, ich geh’ in die Disco!« Carsten Hunings Zeit in der ersten Mannschaft war damit beendet.
Huning sollte nicht der einzige Teilnehmer unserer Reisegruppe sein, der die Folgen des Alkohols zu spüren bekam. Am nächsten Mittag beluden wir den Bus, der uns vom Hotel zum Flughafen bringen sollte. Im Hotelfoyer hatten es sich unser Teamarzt Dr. Meschede und Physiotherapeut Holger Berger gemütlich gemacht. Mit einer Flasche Wodka. Eine Viertelstunde später war der Bus gepackt, wir hatten unsere Plätze eingenommen. Alle waren an Bord – nur der Doktor fehlte. Wo war er nur? Und da sahen wir ihn: Lässig lehnte er an der Scheibe eines regulären Linienbusses der Moskauer Verkehrsbetriebe, der gleich hinter unserem Bus gestanden hatte. Von Wodka umnebelt, war Dr. Meschede in das falsche Fahrzeug gestiegen! Langsam rollte er an uns vorbei. Wir sahen ihn. Er sah uns. Panik im Gesicht des Doktors! Mit Händen und Füßen schickten wir eine nahe Polizeistreife hinterher, die Meschedes Bus nach einigen hundert Metern stoppen und den verwirrten Arzt retten konnte. So endete unser verrückter Trip nach Moskau. Mit einer 1:4-Niederlage und einer insgesamt doch arg ramponierten Mannschaft im Gepäck.
Am 3. November 1987 empfingen wir die Sowjets zum Rückspiel in Bremen. Die Chancen für ein Weiterkommen standen sehr schlecht, zumal Spartak damals über eine mit Nationalspielern gespickte Auswahl verfügte, zu der mit Rinat Dassajew der zu diesem Zeitpunkt beste Torwart der Welt gehörte. Das ist wörtlich zu nehmen, denn unmittelbar vor dem Rückspiel wurde Dassajew tatsächlich mit dem »Goldenen Handschuh« als Welttorhüter ausgezeichnet. Und diesem Spitzenmann sollten wir mehr als vier Tore einschenken? Nicht nur ich hatte da meine Zweifel.
Die hohe Niederlage von Moskau hatte allerdings einen angenehmen Effekt: Niemand setzte auch nur noch einen Pfennig auf uns, mehr als aus dem Wettbewerb ausscheiden konnten wir nun auch nicht mehr. Unser Image hatten wir uns durch den Auftritt im Hinspiel eh versaut. Geht’s raus und spielt’s Fußball, hätte Franz Beckenbauer gesagt. Meine Herren, gehen Sie raus und bewahren Sie Haltung, sagte Otto Rehhagel.
Fußballspiele sind so eine Sache. Manchmal reicht ein Tor, eine Szene, um die Stimmung auf dem Platz komplett kippen zu lassen. Das meine ich damit, wenn ich behaupte, mit einer einzigen Grätsche das ganze Stadion wachgerüttelt zu haben.
Gegen Spartak brauchte es keine Grätschen. Gegen Spartak brauchte es Tore. Schon nach zwei Minuten hatten wir erstmals Grund zum Jubeln. Ausgerechnet Dassajew, der Welttorhüter, griff nach einer Flanke daneben. Unser Kopfballspezialist Frank Neubarth, der mit diesem Spiel sein Image als »Mr. Europacup« festigte, nickte ein. 1:0. Schön und gut. Aber immer noch zu wenig. Nur acht Minuten später erzielte Neubarth das zweite Tor. Jetzt war es um uns geschehen: Eine richtige Welle der Euphorie und der Zuversicht schwappte durchs Stadion und ergriff uns alle: Zuschauer, Trainer, Spieler. Ich sah meinen Kollegen tief in die Augen. Jetzt würden wir es den Russen zeigen! Da, freie Bahn für Frank Ordenewitz, ein trockener Schuss – 3:0! Wir waren auf der Überholspur und nichts und niemand konnte uns mehr stoppen!
Grausamer, schnelllebiger Fußball: Fjodor Tscherenkow gelang in der 71. Minute der 1:3-Anschlusstreffer und für wenige Minuten erlosch das Lodern in unseren Augen. Und dann schien uns auch noch die Natur einen Strich durch die Rechnung zu machen. Wegen Bauarbeiten am Stadion klaffte mitten in der Westkurve ein riesiges Loch. Von der nahen Weser krochen dicke Nebelschwaden über die Baustelle, über die Tartanbahn und legten sich langsam wie ein dicker Pelz auf den Rasen. Eine gespenstische Szenerie, unweigerlich musste ich an die schwarz-weißen Edgar-Wallace-Filme denken. War das Unglück da nicht auch immer durch den Nebel ausgelöst worden? Panik ergriff mich. Nicht wegen des Gegners, der sich nach dem glücklichen Treffer bereits wieder in die eigene Hälfte verzogen hatte. Der Nebel! Die Sicht
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