Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
um 11 Uhr präsentierte er uns seinen wahnwitzigen Schlachtplan. Mit Marco Bode, Wynton Rufer, Frank Neubarth, Mario Basler, Wladimir Bestchastnykh, Bernd Hobsch und Andreas Herzog standen gleich sieben gelernte Offensivspieler in der Startformation, gemeinsam mit Mirko Votava und Dieter Eilts bildete ich die auf drei Mann zusammengedampfte Abwehr. Von »kontrollierter Offensive« war diese Aufstellung weit entfernt!
Normalerweise geben Bundesligatrainer etwa 45 Minuten vor dem Spiel ihre Aufstellung an die Offiziellen und die Presse weiter, doch an diesem Tag verscheuchte Otto alle Bittsteller wie lästige Fliegen. Erst eine Viertelstunde vor dem Anstoß rückte er mit seiner Taktik raus – viel zu spät für Volker Finke und seinen SC Freiburg, um sich darauf einzustellen. Wir gewannen mit 3:1 und an der Außenlinie führte Otto 90 Minuten lang Freudentänze auf. Diesem frechen Neuling aus Freiburg hatte er es mit seiner unerwarteten Aufstellung mal so richtig gezeigt! In der Kabine legte er sich vor dem Spiegel noch schnell seine Haare zurecht, schob die Brust nach vorne und verabschiedete sich von uns mit einem donnernden »Ich geh dann mal eben zur PK« Richtung Presse.
Unser Erfolg in dieser Saison und in diesen Jahren basierte auch auf bedingungslosem Gehorsam. Wir Spieler mussten das tun, was Rehhagel von uns verlangte. Lediglich Ausnahmekönner wie Norbert Meier oder später Andreas Herzog und Mario Basler durften sich auf dem Platz ihre Freiheiten herausnehmen. Mit mir war Otto besonders streng. Meine Aufgaben waren klar festgelegt: Den Gegenspieler attackieren, bei Ballbesitz den Ball an einen Mitspieler auf den Außenpositionen verteilen. Steilpässe durch die Mitte waren strengstens untersagt. Eine Lehrstunde erhielt ich bereits am zweiten Spieltag meiner ersten Saison gegen den Karlsruher SC. Nach einem gewonnenen Zweikampf spielte ich einen gewagten Pass durch die Mitte, ein KSC-Spieler fing den Ball ab und marschierte auf unser Tor zu. Glücklicherweise erfolglos. Ich stand gerade in der Mitte unserer Spielhälfte, als mich aus zehn Metern Entfernung jemand hysterisch anbrüllte: »Uli, wenn Sie noch einmal durch die Mitte spielen, sind Sie sofort unten!« Es war tatsächlich Otto, der einen schnellen 20-Meter-Spurt hingelegt hatte, um mir die Meinung zu geigen. In Zukunft hielt ich mich an die Anweisungen des Trainers.
Warum auch nicht? Bereits am sechsten Spieltag führten wir, die doch zum Abtakeln angetreten waren, die Tabelle an. Bis auf zwei Ausnahmen hielten wir die Spitze bis zum Ende der Saison. Unsere Mannschaft spielte Fußball, wie ihn sich der Trainer gewünscht hatte: Hinten bildeten Sauer, Bratseth und ich eine beinahe unüberwindbare Barriere (und erhielten bald dafür den Spitznamen »Das Bermudadreieck«, weil gegnerische Angriffe stets bei uns verloren gingen), ließen wir doch mal einen Angreifer passieren, stand da mein Kumpel Oliver Reck im Tor, ein sensationeller Torwart, der das Prinzip des »mitspielenden Keepers« schon Ende der Achtziger verinnerlicht hatte und wie ein Libero hinter dem Libero letzte Aufräumarbeiten übernahm. Im Mittelfeld ergänzten sich Arbeiter wie Mirko Votava und Thomas Wolter hervorragend mit den Kreativspielern Norbert Meier und Günter Herrmann, vorne verbreiteten Riedle, Frank Ordenewitz, Burgsmüller und der lange Frank Neubarth Angst und Schrecken. Es war eine fantastische Saison, auch für mich persönlich. Mein ständiger Begleiter, der Alkohol, war noch eine Randerscheinung. Wenn ich soff, dann meistens nach Siegen mit meinen Mitspielern und weil es was zu feiern gab. Noch schränkte mich die Sauferei nicht ein, sie war da, aber nicht in dem Maße, dass sie mir unmittelbar gefährlich werden konnte.
Fußballerisch machte ich einen erneuten Sprung nach vorne. Bei Werder reifte ich zu einer echten Bank in der Defensive, die jahrelang löchrige Bremer Abwehr hatte durch mich eine ganz neue Qualität erhalten. In der Saison 1986/87 hatte Werder 54 Gegentreffer kassiert, 1987/88 waren es lediglich 22 – damals ein Rekord (der erst 2007/08 in der letzten Saison von Oliver Kahn vom FC Bayern eingestellt wurde). Der Vertrag mit Werder hatte mich zu einem wohlhabenden Mann gemacht, mit Carmen genoss ich das gute Leben eines erfolgreichen Sportstars im beschaulichen Bremen. Kurzum: Mein Leben war großartig! Und die Saison war ja noch nicht vorbei.
Die entscheidende Phase dieser Meistersaison begann allerdings mit einem Tiefschlag. Am
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