Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
23. Spieltag trafen wir in Stuttgart auf den VfB, im Sturm der Schwaben stand mein alter Spezi Jürgen Klinsmann, dem ich in den Jahren zuvor mehr als einmal ordentlich zugesetzt hatte. Zugegebenermaßen mit Zweikämpfen, für die ich heute sicherlich mit der Roten Karte bestraft werden würde. Klinsmann spielte auch in dieser Partie die Hauptrolle: Kurz nach der Stuttgarter 1:0-Führung durch Fritz Walter gingen Klinsmann und Olli Reck in einen Zweikampf, Klinsmann fiel wie angeschossen zu Boden, Olli wurde vom Platz gestellt. Aus unserer Sicht natürlich eine klare Fehlentscheidung! Wir verloren dieses Spiel und unseren Torwart, für den eine Woche später gegen Leverkusen Routinier Dieter Burdenski zwischen den Pfosten stand. Nach 37 Minuten lagen wir 0:2 hinten, konnten durch Tore von Riedle und Burgsmüller das Spiel kurz vor dem Ende allerdings noch drehen. Bis zur 90. Minute, als sich Bayers Brasilianer Tita den Ball zum Freistoß aus 30 Meter zurechtlegte, abzog und unser Altmeister »Budde« zu einer spektakulären Parade abhob. Leider zur falschen Seite, der Ball rauschte ins Netz und wir hatten den Salat. 3:3. Zwei Spiele, ein Punkt. Völlig verdattert präsentierten wir uns am nächsten Spieltag gegen Borussia Dortmund und hier zeigte Dieter seine ganze Klasse. Wie in den besten Tagen hielt er seinen Kasten sauber und rettete uns ein 0:0. Drei Spiele, zwei Punkte. Zu wenig für eine Mannschaft, die sich längst zum Titelfavoriten aufgeschwungen hatte! Endlich war Ollis Sperre abgelaufen, mit ihm im Tor fühlten wir uns sicher genug und besiegten – Gunnar Sauers Handspiel zum Trotz – den ärgsten Verfolger aus München mit 3:1.
Die Kurve in der Meisterschaft hatten wir so gerade noch einmal bekommen, nun standen die Spiele im DFB-Pokal und im UEFA-Cup an. Nach zwei Siegen in der ersten Runde gegen Mjondalen IF führte uns der Weg im internationalen Vergleich hinter den Eisernen Vorhang, um gegen Spartak Moskau anzutreten. Doch schon die Anfahrt stellte uns vor ungeahnte Probleme. Weil die Landebahnen in der Sowjethauptstadt wegen Nebel und Eisregen gesperrt waren, mussten wir mit unserer Chartermaschine im litauischen Wilna notlanden. Stundenlang warteten wir samt Sponsoren und Edelfans in einem kleinen Raum neben dem Terminal, der diese Bezeichnung eigentlich nicht verdient gehabt hätte. Mehr als 100 müde Reisende in einem Raum mit 20 Stühlen! Weil niemand von uns das nötige Visum hatte, hingen wir fest. Auf dem kalten Boden versuchte die Profimannschaft von Werder Bremen es sich irgendwie gemütlich zu machen und zu schlafen. Derweil telefonierten der Manager und unsere Funktionäre hektisch mit Moskau und der UEFA. Dann, nach einer Ewigkeit, bekamen wir endlich eine offizielle Meldung: Rückflug nach Deutschland, Moskau bleibt weiterhin gesperrt, das Spiel wird verlegt. Na prima. Aber zumindest durften wir endlich dieser litauischen Enge entfliehen. Von wegen. Unsere gesamte Reisegruppe musste sich in einen Linienbus zwängen, zusammengepfercht wie die Ölsardinen hingen wir in diesem Vehikel, das uns zum Flugzeug brachte. Dort angekommen erwartete uns die nächste Überraschung: Außer uns und dem etwas gelangweilt in seiner Fahrerkabine sitzenden Busfahrer war niemand in der Nähe des Flugzeugs zu sehen! Unser Fahrer machte den Motor aus, schnell kroch die Kälte durch alle Ritzen und Türen. Die ersten im Bus bekamen es mit der Platzangst zu tun. Doch die Türen blieben zu. Eine komplette Stunde ließ man uns in dieser unangenehmen Situation warten, dann endlich tauchte die Crew des Flugzeugs auf. Wir waren heilfroh, als die Maschine nach langen weiteren Stunden zu Hause landete.
Zwei Tage später waren wir schon wieder in der Luft. Diesmal klappte alles reibungslos – bis auf das Spiel. Bei minus 15 Grad und hart gefrorenem Boden nahmen uns die Russen förmlich auseinander. Durchgefroren und mit 1:4 gedemütigt verzogen wir uns ins Mannschaftshotel. In der Nacht nach dem Spiel konnte keiner von uns schlafen. Auch ich schlich irgendwann aus meinem Zimmer – und lief gleich meinen Mitspielern in die Arme. An der Hotelbar und in der hoteleigenen Disco versuchten wir, den Frust mit ein paar Gläsern Hochprozentigem runterzuspülen. Das gelang auch recht ordentlich, kostete allerdings auch Opfer. Das Opfer von Moskau hieß Carsten Huning und war von Otto Rehhagel überraschend als zweiter Torwart mitgenommen worden. Es sollte Hunings erste und letzte internationale Reise mit Werder
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