Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
endlich in aller Ruhe meiner Verletzung widmen. Entgegen dem Ratschlag des Bremer Orthopäden Professor Lenz entschied sich unser Mannschaftsarzt Dr. Meschede für eine konventionelle Lösung. Das hieß: Keine Operation, keine Metallplatte in den Mittelfuß, einfach natürlich heilen lassen. Wenn ich gewusst hätte, welche Folgen diese Entscheidung haben würde, wäre ich dem Doktor wohl an die Gurgel gegangen. Doch natürlich fügte ich mich – schließlich war er der Experte.
Die Zeit in der Reha ist für jeden Fußballer eine extrem schlimme Erfahrung, für mich war es damals besonders schlimm. Ausgerechnet ich, der Eisenfuß, der unkaputtbare Uli Borowka, war außer Gefecht gesetzt wegen eines kleinen Knochens im Fuß. Ohne die körperliche Auslastung beim Fußball wurde ich von Tag zu Tag mürrischer und immer schlechter gelaunt. Ich trank noch mehr, als ich es sonst schon tat, ich bekam schon Ausschlag, wenn ich nur den Eingangsbereich zur Reha sah. Kurzum, ich litt wie ein Hund. Und was noch schlimmer war: Ich verpasste nahezu ein Drittel der Saison, in den entscheidenden Spielen meiner Mannschaft gegen den großen AC Mailand saß ich mit schmerzendem Fuß auf der Tribüne, hilflos musste ich mit ansehen, wie wir aus der Champions League flogen und in der Tabelle zeitweise auf Platz zwölf abstürzten. Die von Dr. Meschede geforderte »konventionelle Methode« dauerte ein halbe Ewigkeit. Erst am 9. April 1994, zum Derby beim HSV, war ich wieder einsatzbereit. 70 Minuten lang ging alles glatt. Dann flog der Ball ins Seitenaus, ich lief hinterher, um einen schnellen Einwurf auszuführen, knickte auf der Plastikkante der Weitsprunggrube um, hörte ein Knacken und wusste es sofort: Der verdammte Knochen war erneut gebrochen! Reha, Zwangspause, Schmerzen – der ganze Mist ging von vorne los. Mit dem Unterschied, dass ich diesmal sofort operiert wurde und die Knochen nun von einer Metallplatte samt Schrauben gehalten wurden.
Trotzdem dauerte es erneut mehr als einen Monat, ehe ich wieder Fußball spielen durfte. Im Pokalfinale gegen Rot-Weiss Essen wechselte mich Otto kurz vor Schluss für Andy Herzog ein, beim 3:1-Siegtreffer durch Wynton Rufer stand ich also mit auf dem Platz. Der Jubel nach dem Spiel samt Siegerehrung war ein schöner Trost für die schweren Monate der Verletzungspause. Doch so ganz wollte unsere Party nicht starten, was vielleicht auch an Kollege Mario Basler lag. Weil es Otto gewagt hatte, ihn eine Viertelstunde vor dem Abpfiff auszuwechseln, wollte Mario erst nicht zur Pokalübergabe erscheinen. Olli Reck und ich mussten pädagogische Erste-Hilfe-Maßnahmen anwenden, um unseren beleidigten Mitspieler wieder etwas zu beruhigen.
So endete die Saison 1993/94 wie sie angefangen hatte. Mit ganz viel Basler, einem Pokal in den Händen – und dem leisen Verdacht, dass mein Leben bereits irgendwie eine andere Richtung eingeschlagen hatte. Ich wusste nur noch nicht genau, wohin die Reise gehen würde.
Tagesbericht, Fachklinik Fredeburg
7. Mai 2000
Am Freitag habe ich mit Herrn Witt gesprochen, da meine ganzen Gefühle auf einmal über mich hereingebrochen sind. Wut und Traurigkeit waren die beiden Gefühle, die mir am meisten ausgemacht haben. Ich habe das Gefühl, dass meine Frau gar nicht an meiner Alkoholabhängigkeit interessiert ist und meine Meinung nicht akzeptiert, sondern alles, was ich sage, niedermacht. Deswegen weiß ich auch nicht, ob es für mich gut ist, dass sie zum nächsten Besuchertag kommen will. Ihre Einstellung gefällt mir überhaupt nicht.
8. Mai 2000
Mein Gefühle sind nicht mehr so durcheinander. Ich habe mich intensiver damit auseinandergesetzt und bin mir über viele Gefühle klar geworden. Im Endeffekt fällt es mir schwer, Trauer zu zeigen. Wut oder Enttäuschungen kann ich besser zeigen und damit besser umgehen. Dass auch die Mitpatienten Gefühle zeigen und es ihnen nicht egal ist, was mit mir ist, habe ich in den letzten Tagen gemerkt. Das ist auch neu für mich.
9. Mai 2000
Heute habe ich mich wieder über Uwe aufgeregt. Das war das letzte Mal, dass ich mir von ihm die Laune verderben lasse. Wir wollten ihm helfen, aber er lässt das nicht zu. Meine Frau rief an, um mir mitzuteilen, dass sie doch nicht zum Angehörigenseminar kommt. Sie hätte selber eine Fortbildung, die wichtiger sei. Das macht mich wütend und ich bin enttäuscht. Ich bin sehr traurig, weil ich dachte, dass sie für sich und uns etwas über die Krankheit erfahren möchte. Ich
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