Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
Boden war tief und wir ließen uns von den Belgiern vorführen. Mit Pfiffen schickten uns die Werder-Fans in die Kabine. Dort hatte dann Rune Bratseth seinen berühmten Anfall. Der »Elch«, sonst schweigsam wie ein Grab, immer besonnen, immer freundlich, immer höflich, griff sich einen vollen Getränkebecher und schmiss ihn wutentbrannt gegen die Wand. Nur wenige Zentimeter neben den Kopf von Otto Rehhagel. »König Otto« wischte sich die Mineralwassertropfen aus dem Gesicht und wir schauten uns alle entgeistert an. Hallo, was war denn hier los? Ich war regelrecht schockiert, so viel Emotionen hätte ich Rune nie zugetraut. Otto nutzte den Moment der überraschten Stille: »Meine Herren, das ist ja hier ein schlechter Film. Gehen Sie raus und sehen Sie zu, dass nicht noch mehr Gegentore fallen, sonst wird das richtig peinlich.« Mit hängenden Köpfen marschierten wir zurück auf den Rasen und bemerkten sofort die riesigen Lücken auf der Tribüne. Ein Drittel der Zuschauer hatte das Stadion schon zur Halbzeit verlassen! Das war der Arschtritt, den wir brauchten. Jetzt sollten diese Leute es bereuen müssen, so früh gegangen zu sein.
Bis es so weit war, mussten wir uns noch etwas gedulden. Bis Wynton Rufer in der 66. Minute den Anschlusstreffer erzielte. Danach waren wir nicht mehr aufzuhalten. 2:3 Bratseth, 3:3 Hobsch, 4:3 Bode, 5:3 Rufer. Es war unheimlich. Die verrückten Spiele mit Werder im Europacup wollten offenbar kein Ende nehmen. Bitter, dass diese Aufholjagd gegen Anderlecht letztlich nichts wert war: Als Dritter der Viertelfinalgruppe B flogen wir raus. Die Partie gegen Anderlecht sollte das zweite, aber auch letzte Champions-League-Spiel meiner Karriere sein. Zwar schlugen wir uns, bis auf das 0:5-Desaster beim FC Porto, noch recht wacker in unserer Gruppe (unter anderem in zwei Spielen gegen den späteren Sieger AC Mailand), doch da sollte ich schon nicht mehr mit dabei sein. Schuld daran war, wie in den kommenden Jahren noch so häufig, der Alkohol.
Vor dem Rückrundenstart trafen wir uns mit der Mannschaft zu einem Kohl-und-Pinkel-Abend in der Bremer Gaststätte »Grothenn’s Gasthaus«. Bier, Schnaps und Kegeln inklusive. Es wurde, wenig überraschend, ein feuchtfröhlicher Abend. Blöd nur, dass wir am nächsten Morgen zu einem Hallenturnier nach Schwerin aufbrechen wollten und ich, noch ordentlich angeschlagen, die Abfahrt verpasste. Der Mannschaftsbus fuhr ohne mich los. Mit meinem eigenen Auto raste ich meinen Kollegen hinterher, mit zu viel Promille im Blut und Wut im Bauch traf ich verspätet in Schwerin ein. Nur unzureichend aufgewärmt, hockte ich mich hinter die Bande, und als mich Otto Rehhagel im zweiten Spiel einwechselte, passierte es: Nach einem Zweikampf humpelte ich unter Schmerzen vom Platz, unsere Betreuer mussten mich ins Krankenhaus fahren. Die Diagnose war bitter: Bruch des Mittelfußes. Mit einer dicken Schiene um meinen lädierten Fuß kehrte ich zur Mannschaft zurück. An Fußball spielen war nun natürlich nicht mehr zu denken, doch bevor es zurück nach Bremen ging, stand noch ein weiteres Turnier in der Nähe von Graal-Müritz an. Ich setzte mich in den Bus, legte das Bein hoch und ließ einen der Betreuer mein Auto fahren. Auf diesen einen Tag kam es doch jetzt auch nicht mehr an. Und tatsächlich: Der Tag verlief relativ unspektakulär. Doch was sich in der Nacht nach dem Turnier abspielte, verdient in diesem Buch ein paar Sätze.
Nach einigen Bieren mit unseren neuen Freunden von einigen anderen teilnehmenden Vereinen – unter ihnen ein aktueller Bundesligatrainer – nahmen wir bald auch die Dienste der im Hotel anwesenden Freudendamen in Anspruch. Was als gemütlicher Umtrunk begonnen hatte, wuchs sich zu einer waschechten Orgie aus. Hemmungslos wurden Bier und Asbach-Cola an der Theke geordert, reihenweise verschwanden Fußballer mit den Bezahldamen aufs Zimmer oder in die Sauna. Sämtliche Getränke schrieben wir auf eine einzige Zimmernummer an. Den Spaß am nächsten Morgen wollten wir uns nicht entgehen lassen. Denn als wir alle ziemlich verkatert wieder in unseren Bus stiegen, hüpfte plötzlich der Manager mit hochrotem Kopf durch die Vordertür: »Ihr Idioten habt 500 Bier und 200 Asbach-Cola auf meine Zimmerrechnung schreiben lassen! Seid ihr komplett wahnsinnig?« Mario Basler reagierte gewohnt cool: »Schrei hier nicht so rum. Kannste mir vom Gehalt abziehen.« Was dann vermutlich auch geschah …
Zurück in Bremen konnten sich unsere Ärzte
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