Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
schaffte ich es, meine Rolle als Fußballer weiterhin so gut auszufüllen, dass ich meinen Ansprüchen gerecht wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich mitverantwortlich dafür, dass Werder Bremen die besten Jahre seiner Vereinsgeschichte durchlebte. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich einer der gefürchtetsten Verteidiger der Bundesliga und in einer der besten Mannschaften Deutschlands Stammspieler. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte ich nach dem Training meine Runden durch Bremens Kneipen ziehen und am nächsten Morgen trotzdem meine volle Leistung abrufen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich meinen Trainer, unseren Übervater, noch nicht enttäuscht. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich ein vollwertiges Mitglied der Werder-Familie.
Bis zu diesem Zeitpunkt.
Es passierte gleich am Anfang der neuen Saison. Es begann damit, dass ich morgens um kurz vor zehn Uhr in meinem Auto wach wurde und nicht wusste, wo ich war. Ein Blick aus dem Auto klärte zumindest das: Ich stand auf dem Parkplatz der Raststätte Wildeshausen, etwa 30 Kilometer süd-westlich von Bremen. Mein Mund war ganz belegt von zu viel Bier und Schnaps. Mein Schädel schmerzte. Und mein Tank war leer, bis auf den letzten Tropfen.
Wie zum Teufel war ich hierhergekommen?
Das Gefühl, mit einem Kater aufzuwachen, ja sogar, mit einem Kater Fußball zu spielen, hatte ich hunderte Mal zuvor erlebt. Aber immerhin hatte ich mich dabei, zumindest bruchstückhaft, an die Erlebnisse vom Vorabend erinnern können. Jetzt stand ich auf einem Rastplatz am Arsch der Welt, zehn Minuten vor dem offiziellen Trainingsbeginn, musste mein Auto zur Zapfsäule schieben und hatte einen kompletten Filmriss. So etwas war mir vorher noch nie passiert!
Ich rief Otto Rehhagel an. »Trainer, mir geht es nicht gut. Habe wohl was Falsches gegessen …« Eine Notlüge, doch Otto war ja nicht blöd. »Uli, hören Sie auf, mir so einen Mist zu erzählen. Sagen Sie mir, was los ist.« Kleinlaut gestand ich ihm meine Lage. Otto blieb ganz ruhig: »Dann fahren Sie nach Hause, ruhen Sie sich aus und kommen Sie heute Nachmittag zum zweiten Training. Ich regele das.« Ich tankte meinen Wagen voll und fuhr los.
Auf dem Weg nach Hause rasten mir die Gedanken durch den Kopf. Wo genau war ich an dem Abend zuvor gewesen? Was hatte ich gemacht? Mit wem hatte ich gesoffen? Gab es Streit? Wie bin ich auf diesen verdammten Rastplatz gekommen? Habe ich einen Unfall gebaut, vielleicht sogar jemanden verletzt? Der Blackout machte mir Angst. Zum ersten Mal in meinem Leben musste ich mir eingestehen, dass mir die Sauferei Schaden zufügte.
Nachmittags fuhr ich wie versprochen zum Training und ging direkt in die Trainerkabine zu Otto Rehhagel. Sein erster Kommentar: »Uli, gehen Sie mal zum Physio und danach in die Sauna.« Und dann sagte er: »Ich biete Ihnen eine Magen-Darm-Grippe an.« Typisch Otto. Er »bot« es mir an, dabei hatte er der Presse längst mitgeteilt, dass der Spieler Uli Borowka deshalb nicht zum ersten Training erschienen war, weil ihn eine tückische Magen-Darm-Erkrankung daran gehindert hatte. Und nicht, dass sich der Spieler Uli Borowka am Vorabend so fürchterlich besoffen hatte, dass er kurz vor Trainingsbeginn in seinem Auto auf einer Raststätte aufgewacht war.
Rehhagel machte mir ein Angebot, dass ich erstens nicht ablehnen konnte und zweitens gerne annahm. Wir profitierten beide davon. Er schützte mich vor der schlechten Presse, die nach so einer Aktion selbst in Bremen die logische Folge gewesen wäre. Gleichzeitig stand ich nun in seiner Schuld und dachte an nichts anderes, als mir in den nächsten Spielen den Arsch aufzureißen, damit mir der Trainer meinen Ausrutscher verzieh. Er rettete mich und irgendwie auch nicht.
In der Suchtklinik sollte ich später lernen, dass Rehhagel spätestens nach dieser Aktion als co-abhängig bezeichnet werden musste. Co-abhängig sind die Menschen, die im nahen Umfeld eines Suchtkranken durch ihr Verhalten dafür sorgen, dass sich der Süchtige seine Sucht nicht eingesteht. Dass er die Behandlung seiner Sucht so lange wie möglich verhindert.
Ich mache Otto Rehhagel keinen Vorwurf. Auch andere Personen in meinem Umfeld waren damals streng genommen co-abhängig. Schuld an dem Schlammassel war einzig und alleine ich. Doch aus heutiger Sicht wäre es sicherlich besser gewesen, wenn mein Trainer den Fehltritt damals nicht vertuscht hätte. Wenn er mich an den Pranger gestellt hätte, wenn ich für mein Verhalten unmittelbar
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