Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
denke, dass sie Angst hat herzukommen.
DER FUSSBALLER, DER SEINE FRAU GESCHLAGEN HAT
Wann ist ein Alkoholiker ein Alkoholiker? Wenn er sich fünfmal in der Woche besäuft? Wenn er mit einer Fahne zur Arbeit kommt? Wenn er schon während der Arbeit daran denkt, wo er nach Feierabend einen trinken gehen kann? Wenn er nach einer durchzechten Nacht nicht mehr weiß, wo er ist? Wenn er seine Frau mit dem Kopf gegen die Wand schleudert? Wenn seine Familie ihn verlässt, weil sie es nicht mehr mit ihm aushält?
Bereits seit Mitte der achtziger Jahre bin ich vom Alkohol psychisch abhängig gewesen. Manchmal dachte ich schon beim Training darüber nach, wo ich nach getaner Arbeit mein Feierabendbier trinken gehen konnte. Ich dachte zwar nicht rund um die Uhr an Alkohol, aber mein Geist hatte sich bereits der Sucht zugewandt – natürlich ohne dass ich etwas davon bemerkte oder dass mir das bewusst war. Ich trank schon damals gerne häufig und viel. Allerdings nicht mehr, als Millionen andere Deutsche, die gerne mal ein Bier trinken oder sich beim Abendessen eine Flasche Rotwein teilen. Doch während die meisten Alkohol in Gesellschaft trinken, sich sozusagen »in Stimmung« trinken, betrank ich mich, um den Kräfte zehrenden Alltag, den täglichen Stress beim Fußball und die Probleme mit meiner Frau zu vergessen. Als unsere Ehe zu Beginn der neunziger Jahre immer mehr zerbrach, flüchtete ich regelmäßig in meine Stammkneipen. Ging die Tür hinter mir zu, stand das frisch gezapfte Bier vor mir auf dem Tisch, dann fühlte ich mich weit weg von allen Streitereien. An der Theke warteten die immer gleichen Gesichter, Stammkunden, die es toll fanden, wenn der berühmte Fußballer mit ihnen ein paar feuchtfröhliche Stunden verbrachte. Ich genoss diese Gesellschaft, denn hier war ich der König. Der Promi, ganz volksnah. Der Uli, ein echter Kumpeltyp. Der Eisenfuß, der am Wochenende Andy Möller wegrasierte und jetzt bei einem gemeinsamen Bier davon erzählte. Der Malocher, der ruhig mal einen saufen durfte, schließlich riss er sich am nächsten Spieltag ja wieder den Arsch auf. Immer volle Pulle. Auf dem Platz und an der Theke.
Ich führte mein Doppelleben. Als Fußballer und Alkoholiker.
Einige Jahre war das gut gegangen. Selbst wenn ich am Mittwochabend bis ein Uhr in der Kneipe versackte, stand ich am Donnerstagmorgen auf dem Trainingsplatz. Selbst wenn ich nach einem Streit nachts stockbesoffen nach Hause kam, schien die Welt am nächsten Morgen schon wieder in Ordnung. Ich frühstückte mit meinen Kindern, häufig vertrug ich mich auch wieder mit meiner Frau, und wenn der Tag gut lief, dann führte ich meine Familie abends schick zum Essen aus. Alles in bester Ordnung. Kein Grund zur Panik. Kam schließlich in den besten Haushalten mal vor.
In blinder Unwissenheit raste ich auf meine persönliche Katastrophe zu.
Und niemand konnte mich stoppen. Meinen Eltern gaukelte ich am Telefon oder bei persönlichen Treffen die heile Welt vor. Der liebende Familienvater und Profifußballer, bei dem alles läuft wie geschmiert. Ich machte mir und meinen Eltern etwas vor.
Etwas anders war es da mit meinen Freunden, vor allem meinen Teamkollegen Oliver Reck und Günter Hermann. Bei ihnen funktionierte das nicht so ohne Weiteres, vor allem nicht bei »Jimmy«, dessen Frau mit Carmen eng befreundet war. Die Hermanns wussten, wie sehr es in unserer Beziehung kriselte. Günters Frau wusste von Carmen, wie häufig ich mich nach heftigen Streitereien in die Kneipen flüchtete. Also wusste es auch Günter. Wie es sich für einen Freund gehört, nahm er mich dann auch regelmäßig zur Seite. »Uli, ist alles in Ordnung bei dir?« »Na klar, Günter, mach dir mal keine Sorgen, ich hab alles im Griff!« Was sollte Günter machen? Meine Frau und mich zur Paartherapie und mich anschließend in die Entzugsklinik bringen? Natürlich nicht. Zur Saison 1992/93 wechselte er zur SG Wattenscheid, der Kontakt wurde immer sporadischer. Was wiederum gut für das Ehepaar Hermann war, die nun nicht mehr so oft mit den Problemen der Borowkas zugemüllt wurden.
Als die Saison 1993/94 endete, steckte ich bereits tief in einer privaten Krise. Doch wie es so ist in einer Beziehung mit Kindern: Carmen und ich wollten den Graben, der sich längst zwischen uns auftat, einfach nicht wahrhaben. Ich rannte vor unseren Problemen davon und ließ meine Frau im Stich, Carmen verschloss die Augen vor meinen Alkoholproblemen und zog sich immer weiter in ihr
Weitere Kostenlose Bücher