Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
Schneckenhaus zurück. Wenn man so will, kaufte ich mich quasi frei aus meiner Schuld. Wenn die Liebe auch langsam erlosch und Verachtung anstelle von Zuneigung immer weiter anwuchs, so genoss sie doch das schöne Leben einer Fußballergattin: Mit dem Geld, das ich als Profi verdiente, hatten wir uns eine schicke Villa im schönen Oberneuland gekauft, inklusive Zaun und Panzerglas zur Sicherheit unserer Kinder. In der Garage standen drei Autos. In Carmens Kleiderschrank hingen Klamotten im Wert von mehreren zehntausend Mark. Wenn wir in den Urlaub fuhren, dann nicht auf den Campingplatz nach Holland, sondern in eine edle Finca auf Mallorca. Das Bankkonto war prall gefüllt. Kurz: Dieses Leben wollte Carmen so schnell nicht aufgeben, auch wenn sie dafür mit einem Mann zusammenleben musste, der sich in der Kneipe wohler fühlte als auf dem heimischen Sofa.
Noch etwas änderte sich in dieser Zeit: Während ich früher nach ein paar Gläsern Bier oder Wein immer lustiger wurde und ganze Tischrunden zum Lachen bringen konnte, veränderte der ständige Alkoholkonsum nun mein Wesen von Grund auf. Mit jedem Tropfen Alkohol mehr in meinen Adern wurde ich stumpfsinniger und aggressiver. Hatten mich die Sprüche von enttäuschten Fans (»Was habt ihr denn da für einen Scheiß gespielt?!«) früher eher zum Lachen gebracht, nahm ich die Kritik nun persönlich und fing an, die entsprechende Person zu beschimpfen. Je aggressiver ich wurde, desto mehr schüttete ich in mich rein. Ich verlor das Gefühl dazu zu sagen: Jetzt ist Schluss, ich gehe nach Hause. Ich soff so viel, bis ich fast vom Hocker kippte. Ich prügelte den Alkohol förmlich in mich hinein. Von Genuss keine Spur mehr. Immer mehr ähnelte ich einem Masochisten, der sich die Peitsche auf den Rücken schlägt, obwohl die Haut schon aufgeplatzt ist. Und für den Fall, dass mir der Weg in die Kneipe zu weit erschien, richtete ich mir einfach in meinem eigenen Haus Rückzugsmöglichkeiten ein, SOS-Stationen, um die Sucht zu befriedigen. Wie den Kühlraum, den ich eigentlich mal dafür hatte bauen lassen, um immer frisches Obst und Gemüse in unserem Haus zu lagern. Jetzt stapelten sich dort die Bierkisten. Wenn mir danach war, hockte ich mich in die Kälte und leerte einen halben Kasten Weißbier.
Für meine Kinder war das eine schlimme Zeit. Natürlich bemerkten auch Tomek und Irina, dass sich ihre Eltern sehr häufig stritten, sie waren ja nicht taub und mussten die lauten Schreiereien irgendwie ertragen. Ich fand das furchtbar und Carmen sicherlich auch. Doch selbst die Liebe zu meinen Kindern hinderte mich nicht daran, dem Abgrund entgegenzurasen. Für nichts schäme ich mich heute mehr. Nichtsdestotrotz versuchte ich meinen Kindern ein guter Vater zu sein. Und ich litt wie verrückt, als mein kleiner Sohn im Alter von gerade einmal einem Jahr am Ohr operiert werden musste. Er reagierte nicht auf die Beruhigungsmittel und schrie wie ein Wahnsinniger, als man ihn in den OP-Saal brachte. Damals stand ich kurz vor einem Zusammenbruch. Noch schlimmer war es Jahre später mit meiner Tochter, die 1997 nach einer Blinddarm-OP große Probleme mit ihrem Darm bekam und notoperiert werden musste. 48 Stunden lang kämpfte das kleine Wesen gegen den Tod, 48 Stunden saß ich an ihrem Bett und vergaß selbst die Sauferei – die mich zu diesem Zeitpunkt schon fest im Griff hatte.
Nein, den Schuh, ein schlechter Vater gewesen zu sein, ziehe ich mir nicht an. Jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt. Und doch bin ich durch mein eigenes unverzeihliches Verhalten hauptverantwortlich dafür, dass meine Kinder viele Jahre ihres Lebens ohne ihren Vater aufwachsen mussten. Weil der besoffen in der Kneipe hing, statt sich mit ihnen zu beschäftigen. Jahre, in denen ich jenseits von Gut und Böse war, Jahre, in denen mich der Alkohol fast umgebracht hätte. Erst als ich diesen Dämon aus meinem Leben verbannt hatte, war ich als Vater wieder einsatzfähig. Dass der Kontakt zu meinen Kindern heute so gut wie abgebrochen ist, habe ich mir – jedenfalls zu einem großen Teil – selbst zuzuschreiben.
Als die Saison 1994/95 begann, schlingerte ich durch mein Leben wie ein Schiffskapitän in Seenot. Wie ein Kapitän, der nicht erkennen will, dass sein Schiff kurz davor ist, unterzugehen. Die Wellen hatten mich zwar noch nicht verschluckt, aber das Schiff war bereits leckgeschlagen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich sinken würde.
Während der Orkan privat bereits begonnen hatte,
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