Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
Werder verließ. Ein Beispiel für den Konflikt zwischen Trainer und Präsidium erlebten wir Spieler während der Winterpause, als wir trotz langer Verletztenliste bei zahlreichen Hallenturnieren antreten mussten. »Was haltet ihr davon, wenn wir den Jens mal mitnehmen«, fragte uns Otto. Sein Sohn Jens, der damals bei den Amateuren spielte, war ein guter Fußballer, und da wir ohnehin personell nur unzureichend besetzt gewesen wären, hatten wir natürlich nichts dagegen. »Den schmeißen wir auch nur rein, wenn die Spiele schon entschieden sind«, sagte Otto. Jens machte ein paar Spiele und zog sich durchaus beachtlich aus der Affäre. Aber im Präsidium stieß dieser Alleingang des Trainers sauer auf.
Irgendwann wird es Rehhagel gereicht haben. Anfragen aus München hatte er in den Jahren zuvor ja schon mehrfach erhalten. Ich denke, an einem bestimmten Punkt wird er sich gesagt haben: »Na gut, warum nicht.« Eine Entscheidung, die Werder in den kommenden Jahren noch bereuen sollte.
Doch bevor sich Otto von uns offiziell verabschieden konnte, hatten wir ja noch eine Meisterschaft zu spielen. Ganz ehrlich: Der Titel war mir inzwischen egal. Viel schlimmer als der Verlust der Meisterschaft wog der Weggang unseres Trainers. Viele in der Mannschaft dachten damals wie ich. Entsprechend unwirklich waren die Tage vor dem letzten Saisonspiel gegen die Bayern. Otto bemühte sich, uns auf dieses wichtige Spiel einzustellen, aber was er auch tat, es gelang ihm nicht. »Meine Herren«, sagte er, »Sie können mir und sich selbst einen großen Gefallen tun und hier und heute in München Deutscher Meister werden!« Den Gefallen taten wir uns leider nicht. Obwohl es nichts mehr für sie zu holen gab, spielten die Bayern ganz groß auf und rannten 90 Minuten lang wie die Verrückten über den Platz. Scheinbar wollten sie ihrem neuen Trainer gleich mal zeigen, was sie so draufhatten. Wir verloren und fuhren nach Hause. Als ich meine Haustür aufschloss, hallte das Geräusch des Schlüssels im Flur nach. Carmen und die Kinder waren wieder einmal weg.
Noch ein letztes Mal wurde es gefühlig, dann verschwand Rehhagel aus meinem Leben. Für seinen Abschied hatte Otto eine Bremer Disco angemietet, wo wir es alle noch einmal richtig krachen ließen. Ich hatte mir als Abschiedsgeschenk etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Einer von Ottos zahlreichen Lieblingssprüchen hatte sich in mein Gedächtnis eingebrannt: »Meine Herren, Sie müssen immer auf der Hut sein! Jeder muss denken, dass Sie einen Geigenkoffer mit sich herumtragen, aber wenn Sie den Koffer aufmachen, muss da eine Kalaschnikow drin sein sein!«
Wochenlang suchte ich nach den passenden Utensilien. Ich kaufte einen kleinen Koffer und ließ ihn mit rotem Samt auslegen. Ein befreundeter Werkzeugmacher bastelte mir ein kleines Kalaschnikow-Imitat aus Edelstahl mit Holzgriff. Diesen Koffer, mit einer Glasscheibe überzogen, überreichte ich meinem scheidenden Trainer bei seiner Verabschiedung. Otto schaute mich zunächst vollkommen ratlos an, dann verstand er. Ob er dieses Geschenk heute noch irgendwo stehen hat? Ich habe ihn nie danach gefragt.
Dieser Abend war eines meiner letzten Highlights in den kommenden Jahren. Er ließ die Saison 1994/95 mit einem kleinen Lichtblick ausklingen. Doch es dauerte nicht lange, bis schwarze Wolken wieder alles verdunkelten. Meine Frau und meine Kinder verlor ich jeden Tag ein bisschen mehr. Mein Haus, unser Zuhause, war nur noch ein großer lebloser Kasten, der mich daran erinnerte, was einmal gewesen war. Meine Karriere eilte mit riesigen Schritten dem Ende entgegen. Otto Rehhagel war jetzt in München.
Früher war ich morgens aufgewacht und hatte mich über den neuen Tag gefreut – dieses Gefühl kannte ich jetzt nicht mehr.
Tagesbericht, Fachklinik Fredeburg
10. Mai 2000
Der Zeitungsartikel, in dem die ganzen schlimmen Geschichten zwischen mir und meiner Frau noch einmal durchgekaut worden war, macht mir nicht viel aus. Ich habe ihn so hingenommen wie jeden anderen Artikel auch. Dass meine Frau nicht kommt, macht mich allerdings wütend und traurig zugleich. Um meine Alkoholkrankheit zu verstehen, muss man sich damit auseinandersetzen und das vor allem wollen. Ich dachte, dass meine Frau das auch so sieht, weil wir ja doch viele Jahre zusammen verbracht haben und zwei wunderschöne und liebe Kinder haben. Ich muss sagen, dass ich meine Frau immer noch liebe und mir das alles sehr wehtut.
12. bis 14. Mai 2000
Ich war am
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