Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
bestraft worden wäre. Und wenn mir die schlimmen Folgen meiner Krankheit – die ich damals natürlich noch nicht als Krankheit anerkannte – direkt vor Augen geführt worden wären.
Stattdessen saß ich in der Sauna und dachte: »Uli, da hast du noch mal Schwein gehabt.« Und in den kommenden Wochen brauchte mich der Trainer nur schräg von der Seite anzugucken, schon rannte ich im Spiel um mein Leben. Selbst Monate später, vor einem wichtigen Spiel in der Rückrunde, holte mich der Blackout vom Rastplatz wieder ein. »Uli«, sagte Otto vor dem Anpfiff, »zeigen Sie, was Sie können. Ich habe die Aktion von damals noch nicht vergessen …«
Der Filmriss war schlimm, er zeigte mir erstmals, dass mich der Alkohol komplett aus der Bahn werfen konnte. Nicht, dass ich damals mein Suchtproblem erkannte, davon war ich noch weit entfernt. Aber für eine kurze Zeit war ich schockiert.
Aus sportlicher Sicht hatte der vermeintliche Ausrutscher zunächst keine weiteren Folgen. Ich spielte, ich verrichtete meine Arbeit. Wenn wir gewannen, kassierte ich meine Prämie und fuhr nach Hause. Selbst wenn ich die Abende und Nächte in der Kneipe verbrachte, konnte ich am nächsten Morgen wieder voll trainieren. So gesehen war mein Körper ein Wunder der Natur. Wie jeder andere Mensch auch zeigte ich nach zu viel Bier und Schnaps die üblichen Symptome – ich torkelte, ich lallte, ich musste mich auch schon mal übergeben –, doch am nächsten Morgen stand ich auf dem Trainingsplatz und spielte Leistungsfußball, als wäre nichts gewesen.
Wie robust mein Körper auf äußere Einflüsse reagierte, zeigte sich nach einem ziemlich blutigen Zwischenfall mit dem Wattenscheider Stürmer Ali Ibrahim im Sommer 1991. Er jagte mir seinen Ellenbogen so ins Gesicht, dass drei Zähne sofort ausfielen und einer abbrach. Meine Lippe war aufgeplatzt, ich blutete wie ein abgestochenes Schwein. Meine Kollegen mussten mich festhalten, sonst wäre ich Ibrahim an die Gurgel gegangen. Er bekam Rot, ich aber ging nach dem Spiel auf die Suche nach meinen Zähnen. Übrigens zusammen mit meinem Vater, der bei diesem Spiel mit im Stadion gesessen hatte. Montags darauf saß ich beim Zahnarzt. Ich sah aus wie Frankensteins Gesellenstück, der Doktor musste mir die zerstörten Zähne samt Wurzeln ausgraben. Ohne eine Betäubung war das nicht machbar. Doch nun hatten wir ein Problem. Der Inhalt seiner Betäubungsspritzen stand auf der Dopingliste, ohne Betäubung war an diesen komplizierten Eingriff aber nicht zu denken. Und schon morgen mussten wir bei Bayer Leverkusen antreten. Also rief ich unseren Vereinsarzt Dr. Meschede an. »Uli, ich kümmere mich darum«, vertröstete er mich. Keine zehn Minuten später klingelte wieder das Telefon. »Uli, ich habe mich erkundigt: Morgen gibt es keine Dopingkontrolle. Sag dem Kollegen, er kann die Spritzen aufziehen.« So viel zu den Dopingbestimmungen in den neunziger Jahren.
Mein Zahnarzt machte sich ans Werk und drückte mir die erste Spritze rein. Und die zweite. Und die dritte. Und die vierte! Es half alles nichts, mein Körper wehrte die Betäubungen ab wie ein geübter Boxer die gegnerischen Aufwärtshaken. Schon bald standen dem Mediziner riesige Fragezeichen im Gesicht. »So etwas habe ich ja noch nie erlebt«, murmelte er. Erst nach sage und schreibe zwölf Betäubungsspritzen verlor ich endlich das Gefühl im Gesicht, endlich konnte sich der Doktor an die Arbeit machen. Als ich anschließend zum Trainingsgelände fuhr, war der Mannschaftsbus bereits in Richtung Leverkusen aufgebrochen. Mit meinen zwölf Spritzen im Körper setzte ich mich ins Auto und fuhr hinterher …
Ähnlich verhielt es sich mit dem Alkohol: Mein Körper war perfekt darin, das ihm zugeführte Gift in Rekordzeit abzubauen. Als ich 2000 nach mehr als vier Jahren hemmungsloser Sauferei in die Entzugsklinik eingeliefert wurde, hatte meine Leber ganz normale Werte. Ein teuflischer körperlicher Vorteil.
Meine Organe, meine Arme und Beine ertrugen den Alkohol mit Gleichmut. Doch meine Psyche schien sich nach und nach zu verändern, immer häufiger wurde ich in der Kneipe aggressiv, der Filmriss war der erste böse Vorbote für alles, was da noch kommen sollte.
Während ich langsam, aber sicher mich, meine Familie und meine Karriere versoff, zerbröckelte die Beziehung zu meiner Frau wie ein altes Haus nach dem Erdbeben. Nichts konnte mich mehr auf die Palme bringen als meine Frau. Die Sauferei und der Stress mit Carmen wurden bald
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