Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
der riesige Klotz aus Panzerglas und Marmor leer. Irgendwann, nach Dutzenden Versuchen, erreichte ich sie am Telefon. Ich flehte, ich bettelte, ich kroch zu Kreuze und schwor ihr, dass so etwas nie wieder passieren und ich mich ab sofort im Griff haben würde. Nach langen Minuten ließ sie sich erweichen, auch weil die Kinder ihren Papa und den Kindergarten und ihr Zuhause vermissten.
Doch nichts wurde wieder, wie es mal war. Das war der Anfang vom Ende und es gab auch kein Zurück mehr. Mein Leben entronn mir aus den Händen wie feiner Sand. Meine verzweifelten Versprechungen und Schwüre, von nun an alles anders zu machen, waren lediglich hohle Phrasen, ohne Fundament und Inhalt. Der Alkohol hatte mich viel zu fest im Griff, als dass ich noch etwas an meiner Situation hätte ändern können. Ich versuchte zu retten, was nicht mehr zu retten war. Trocken und nüchtern hätte ich mich vielleicht ernsthaft mit Carmen zusammengesetzt. Wir hätten versucht, uns auszusprechen. Vielleicht hätten wir das nicht geschafft. Vielleicht hätten wir uns getrennt, weil die Liebe zerronnen war. Vielleicht hätten wir irgendwas getan, nur nicht das, was nun folgte.
Kaum waren die ersten Worte der Versöhnung verhallt, gingen die gegenseitigen Beschimpfungen und Erniedrigungen auch schon wieder los. Wir beide kannten die Schwachstellen des Partners ganz genau. Und wie es sich für einen anständigen Rosenkrieg gehört, fügten wir den Schwachstellen Wunden zu. Und streuten anschließend Salz in die Wunden. Es war einfach nur schlimm.
Aus heutiger Sicht frage ich mich, was ich in Gottes Namen damals nur getan habe. Wollte ich nicht erkennen, in welcher Lage ich mich befand? Wahrscheinlich fühlte ich mich der äußerst kritischen Situation noch gewachsen, schließlich, so kurios es klingt, machten sich meine privaten Eskapaden auf dem Fußballplatz zunächst nicht bemerkbar. In einer Mannschaft, die 1994/95 bis zum Schluss um die Meisterschaft mitspielte, war ich gesetzt. Wenn ich den Rasen betrat und die ersten Bälle aufs Tor donnerte, fühlte ich mich frei von allem Stress. Und so hatte der Fußball lange Zeit die gleiche Wirkung wie der Alkohol: Er ließ mich vergessen, in was für einer beschissenen Situation ich eigentlich steckte.
Bis zum Spiel gegen Schalke 04. Bis zu dem Tag, an dem meine Fehler Werder Bremen die Deutsche Meisterschaft kosteten.
An diesem 32. Spieltag war ich schon vor dem Anpfiff fahrig und seltsam unkonzentriert. Hatte ich es in den vergangenen Monaten irgendwie geschafft, Privates und Berufliches zu trennen, brach das wacklige Kartenhaus nun, in einer ernsten Drucksituation, in sich zusammen. Wir verloren mit 2:4 gegen Schalke, zwei Gegentore fielen nach kapitalen Fehlern von mir. Nach 62 Minuten wechselte mich Otto Rehhagel aus. Ich fühlte mich wie ein Boxer, der in der zwölften Runde zusammengeschlagen und ausgeblutet aufgeben muss. Nicht nur, dass mein Leben ein Trümmerhaufen war, jetzt spielte ich auch noch Fußball wie ein Anfänger. Ich bin mir sicher: Mit einem Uli Borowka in Normalform hätte Werder Schalke aus dem Stadion geschossen und wäre anschließend auch Meister geworden.
So aber musste ich mit ansehen, wie wir auf der Zielgeraden ins Stolpern gerieten, am letzten Spieltag mit 1:3 gegen den FC Bayern unterlagen und den Titel an Borussia Dortmund verloren. Natürlich war es die Niederlage gegen die Bayern, die uns die Meisterschaft letztlich kostete. Aber ich war mir dennoch sicher: Ich hatte es versaut. Privat und auf dem Fußballplatz. Und zu allem Überfluss verabschiedete sich am Ende dieser Saison auch noch mein Trainer. Otto Rehhagel verließ Bremen und wechselte ausgerechnet nach München. Die Werder-Familie stand unter Schock. Ich stand unter Schock. Nach Jupp Heynckes war Otto erst mein zweiter Trainer im Profibereich gewesen, unter ihm war ich zum Nationalspieler gereift, hatte zwei Meisterschaften und den Pokal gewonnen. Nun ging er einfach weg.
Wie schon im Falle des Wechsels von Lothar Matthäus von Borussia Mönchengladbach zum FC Bayern bin ich mir auch bei Otto Rehhagel sicher, dass der Verein ihn hätte halten können. Wenn der Verein denn gewollt hätte. Doch gerade in dieser letzten Saison häuften sich die Spitzen, die Rehhagel von der Vereinsführung ertragen musste. Gerade der Manager, der in den Jahren zuvor von Otto mehr als einmal vor versammelter Mannschaft zurechtgestutzt worden war, dürfte nicht unbedingt unglücklich gewesen sein, als Rehhagel
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