Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
Champagner nehmen. Aber an dem Tag, als mir der freie Zugriff gewährt wurde, hab ich gesagt: Lass es! Ich hab die Verfänglichkeiten anderer gesehen und was davon ausgeht. Was man nicht anfängt, muss man sich nicht abgewöhnen. Viele Menschen gehen sehr unachtsam mit ihrem Körper um. Genuss aber heißt nicht Quantität – Genuss ist Konzentration.
Sie haben hier eine eigene Hochschule fürs Kochen!
Das kann man so sagen – aus unserem Nachwuchs sind drei der Drei-Sterne-Köche Deutschlands hervorgegangen. Darüber hinaus haben wir eine Vielzahl von Zwei-Sterne-Köchen – und weit über 30 Ein-Sterne-Leute. Das haben in Frankreich nur wenige große Chefs geschafft.
Was ist der Unterschied zwischen zwei und drei Sternen? Ist das für einen Laien schmeckbar?
Die Drei-Sterne-Restaurants, die ich kenne, sind in der Regel alle Institutionen. Bis ein Restaurant mal drei Sterne bekommt, ist es schon fast ein Mythos. Alles muss nahtlos funktionieren und viele Flops darf man sich da nicht erlauben.
Wenn man so mit Lebensmitteln umgeht wie Sie, also mit dem Feinsten vom Feinsten, und man gleichzeitig Schwabe ist – ist man dann nicht auch manchmal in der Versuchung, beim Lidl oder Aldi einzukaufen?
Ich erinnere mich: 1983 hatten wir mal Michelin-Tester im Restaurant …
Kennen Sie die Tester?
In der Regel natürlich nicht. Ich stehe in meiner Küche und koche. Aber in diesem Fall ging es um den dritten Stern. Und Herr Bercher von Michelin erklärte mir, dass Michelin uns eigentlich in der Ausgabe 82/83 schon den dritten Stern verleihen wollte – aber dann gab es einen Abschlusstest mit Testern, die aus Paris kamen. Es gab an diesem Abend Lammrücken. Mit dem waren die Tester handwerklich auch total einverstanden. Aber mit dem Produkt, dem Lamm, waren sie nicht einverstanden. Das Lamm war ihnen nicht erlesen genug. Daraufhin habe ich dann wirklich so lange recherchiert, bis ich endlich einen Produzenten gefunden habe, der mir das Lamm perfekt und zuverlässig liefert. Wenn ich heute 100 Lammrücken bekomme, dann sind 98 so, wie ich sie mir vorstelle. Vom Gewicht, vom Aussehen, von der Größe. Der dritte Stern bedeutet also auch: Fehlerquellen abstellen. So habe ich für alle Produkte ein Bezugsquellennetz aufgebaut, das beste Qualität garantiert. Dabei kommt Aldi nicht vor. Das Qualitätskriterium steht für mich an erster Stelle, das steht für mich über dem Preis. Wenn ich ein tolles Produkt sehe, das will ich haben. Erst dann kommt der Preis. Sie müssen Ihr Schwabenbild überdenken, Herr Kienzle!
Bevor ich das mache, frage ich Sie nach Ihrem Lieblingsgericht!
Ich liebe den Gaisburger Marsch. Ich esse auch mal gerne Schlachtplatte – ich habe viele Lieblingsgerichte.
Die schwäbische Küche!
Damit ist man angefüttert worden, das ist geblieben.
Gaisburger Marsch ist ja ein typisch schwäbisches Resteverwertungsgericht. Ich finde das ja auch ziemlich gut – was mögen Sie daran?
Das ist suppig, die Spätzle sind drinnen, ein kräftig schmeckender Eintopf mit Rindfleisch. Aber es muss ein gutes sein! Dann ist das alles, was das Herz begehrt. Und es ist leicht.
Die gute schwäbische Küche geht ja langsam verloren. Ich war gestern in Stuttgart und habe in einem renommierten Hotel Gaisburger Marsch auf der Speisekarte gesehen. Das war etwas Furchtbares! Die haben einfach eine große Menge Spätzle aus einem Eimer in eine Brühe geschmissen, Fleisch dazu – und das nannten die Gaisburger Marsch!
Es war enttäuschend.
Ich bin ein großer Liebhaber von Innereien. Das geht auch verloren. Also für eine Kalbsleber oder für eine Kalbsniere lasse ich vieles andere stehen.
Und warum kommt das nicht in Ihrer Küche vor?
Herr Kienzle – wir verarbeiten das! Ich habe jetzt Kalbskopf auf der Karte. Nieren machen wir meistens im Frühjahr, wenn wir weniger Fleischsorten haben. Im Sommer sind wir mit Wild gut bestückt. Aber wenn keine Wildzeit ist, dann gibt es Nieren und Leber. Wir kochen saisonal.
Wenn man das Fernsehen anmacht, sieht man immer einen Koch. Diese Kochshows sind eine lästige Mode geworden. Sie aber sind selten im Fernsehen zu sehen. Warum?
Das ist ja kein ernsthaftes Kochen, das ist Unterhaltung. Das ist wie mit dem Gaisburger Marsch, den Sie beschrieben haben: Eine Kalbsbrühe braucht einfach drei Tage, bis sie die Konsistenz hat, die wir brauchen. Ich betreue ein Restaurant, das im Schnitt 60 Gäste hat am Tag. Das ist so viel Arbeit, wenn wir das auf unserem Level halten wollen und uns
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