Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
auch immer weiter entwickeln wollen, da bleibt keine Zeit, um ins Studio zu gehen. Ich mache das schon hin und wieder. Aber nicht als Dauereinrichtung. Die Gäste wollen mich hier sehen und nicht abends um 22 Uhr auf dem Kanal.
Das heißt ja, dass die TV-Köche mehr im Fernsehen als in ihren Küchen stehen?
Da muss ich zur Ehrenrettung der Kollegen sagen: In der Regel liegt die Produktionszeit dieser Sendungen an Tagen, an denen sie geschlossen haben. Zum Teil werden ja bis zu drei Sendungen an einem Tag aufgezeichnet – da ist ja nichts live. Die Öffentlichkeitsarbeit, die dort für das Essen gemacht wird, ist für unseren Berufsstand wertvoll. Wenn die Menschen sensibilisiert werden, sich besser zu ernähren – dann ist alles wunderbar, damit kann ich leben.
Aber trotzdem: Sie machen sich rar.
Das ist nicht meine Welt. Ich bin gerne hier, ich bin gerne für meine Gäste da, ich stehe für eine andere Exklusivität. Ich stehe auch für eine andere Ernsthaftigkeit. Vielleicht hat das auch etwas mit meinen schwäbischen Wurzeln zu tun.
Als Drei-Sterne-Koch sind Sie Avantgarde – Sie bestimmen Trends, an Ihnen orientiert man sich. Wie spüren Sie hier in Baiersbronn, wo der Trend in der Welt da draußen gerade hingeht?
Man muss regelmäßig auch über den eigenen Tellerrand blicken. Denkanstöße, Impulse von außen bekommen. Da geht man einfach mal zu Kollegen essen. Und da kann keine Adresse weit genug sein.
Barcelona?
Ganz aktuell habe ich mir das »Noma« angeschaut in Kopenhagen.
Neu war ja die Molekularküche, das war ja eine kleine »Revolution«. Das hat Sie nie interessiert?
Also ich bin natürlich auch da gewesen – bei Ferran Adrià in Barcelona. Ich habe mir das angeschaut. Das ist eine für sich stehende Geschichte. Er kommt, wie ich, im Schnitt auf 60 Gäste am Tag. Dafür hat er 45 Mitarbeiter in der Küche. Ich habe 13 Mitarbeiter.
FC Barcelona gegen VfB Stuttgart.
Ich muss mit meinen Rahmenbedingungen, mit meinen Gegebenheiten, meinen Örtlichkeiten zurechtkommen.
Das ist schwäbisch bescheiden.
Mein Konzept ist so ausgerichtet, wie es der Betrieb braucht.
Aber konzeptionell hätte Sie diese Küche interessiert? Vom Genuss her – bietet sie so viel?
Es ist eine Kopfsache. Vieles in unserer Branche sind Momenterscheinungen.
Hokuspokus?
Wenn es etwas gibt, was die Küche weiterbringt, dann bleibt das nicht unentdeckt. Das ist wie beim Autobau – irgendwann hat einer den Katalysator gebaut, jetzt bauen ihn alle. Fragt heute noch einer, wer ihn entwickelt hat? Unser Restaurant ist eigentlich wie ein Formel-1-Wagen. Alles Hightech – die Küchengeräte, die besten Produkte sind da. Die Sensibilität, die der Koch am Produkt auslebt, die macht den Unterschied. Früher gab es einen Hype um »Steinbutt auf Kaviar« – in den alten großen Küchen von Fernand Point und Paul Bocuse. Heute spielt, sagen wir mal, ein Sauerklee oder eine wilde Brunnenkresse eine genauso große Rolle für mich wie der Kaviar. So eine wilde Brunnenkresse hat einen so unvergleichlichen, unverwechselbaren Charakter! Aber natürlich muss ich lernen, damit umzugehen. Bis ich an den Punkt komme: So schmeckt sie am besten. Heute geht für mich jedes Produkt gleichberechtigt an den Start. Es ist die Frage, was ich draus mache und wie ich es veredle, wie ich Streicheleinheiten für Mund und Gaumen schaffe, für den Geruch, für die Nase, für die Empfindung am Gaumen. Und das ist das, was die Kunst ausmacht. Die kann ich spüren am ganzen Körper. Es gibt keine Kunst, die man am eigenen Körper so spüren kann wie die Kochkunst.
Sie sind Künstler?
Wenn Sie sich ernsthaft damit beschäftigen, dann würde ich schon sagen, dass Kochen eine große Kunst ist.
Die Schwaben gelten ja als unheimlich unternehmungslustig. Sie sind aber immer Angestellter geblieben. Warum hat es Sie nie gereizt, ein eigenes Restaurant aufzumachen?
Der Reiz war da. Ich bin mindestens so viel Unternehmer wie ich Koch bin. Ich bin aber nur Abteilungsleiter im Haus hier. Und das ist auch ganz gut so.
Das eigene Restaurant hat Sie nie gereizt?
Ich konnte meine Frau für alles begeistern – aber nicht für die Selbstständigkeit. Meine Vorstellungen, was Niveau und Image anging, was ich gastronomisch im Kopf hatte – das wollte sie nicht mittragen. Und ich hätte mich mit einer bürgerlichen Küche, die im Anspruch nicht so hoch gewesen wäre, nicht zurechtgefunden. Wenn ich heute abends nach Hause komme, dann ist die Welt für mich in
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