Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
– das ist eine Halbinsel in Bächlingen, eine tolle Szenerie. Die ARD suchte für den Fall, dass es regnet, eine Innenlocation. In Langenburg ist ja das Fürstenhaus. Da hat ihm der Fürst von Hohenlohe angeboten: Das können sie dann im Schloss machen. Aber der Joschka war skeptisch: »Ein Grüner im Schloss?« Es hat dann zum Glück nicht geregnet. Das Wetter blieb schön.
Der Joschka kennt noch Namen von Leuten aus unserer Kindheit, die kenne ich überhaupt nicht mehr! Nach der Sendung fragte er den Mosesmüller, das ist ein netter Kerle: »Gibt es den noch und den?« Im Hohenlohischen wird er vollkommen sentimental.
Er lebt ja heut ein bisschen abgehoben. Dort erdet er sich?
Irgendwann hockten wir an der Mosesmühle direkt am Wehr und die Jagst plätscherte so vor sich hin, wunderschön grün alles, da sagt er: »Eigentlich sollte man sich hier ein Haus kaufen.« Da habe ich gesagt: »Jetzt mach mal halblang! Das glaubst du doch selber nicht! Du bist doch ein urbaner Mensch!« »Doch«, sagte er. »Hier könnte man schreiben.«
Der schwäbische Wunsch nach dem Häusle – das haben also auch die Hohenloher. Aber sagen Sie: Obwohl Sie sich klar als Franke outen, ist Ihre Sprache eindeutig schwäbisch. Sie sprechen nicht hohenlohisch.
Wenn ich daheim bin, schon.
Sie haben ein Identitätsproblem?
In dieser Beziehung werde ich immer wieder gescholten. Wenn ich daheim bin und zwei, drei Tage brauche, bis ich umschalte. Mein Bruder zum Beispiel, der zu Hause ist und der als hohenlohischer Journalist Hohenlohe aus dem Effeff kennt und dort diesen legendären Holundersekt produziert – ein sagenhaftes Getränk –, der sagt immer: »Du bist ein Beute-Schwab, ein eingeschwäbelter. Du bist kein Richtiger mehr!«
Die Sprache geht verloren.
Ja, die Sprache geht verloren.
Also sind die Hohenloher, wie die Schwaben, ein Auslaufmodell?
Im Gegenteil: Dazu sind sie zu erfolgreich!
1 »So, sind Sie auch hier?«
2 Dialektal für: Hohenloher
3 Schwäbisch für: »Das ist die andere Seite.«
4 In den 1980er-Jahren wurde der tauberfränkische Ort Boxberg im Nordosten Baden-Württembergs bundesweit durch seinen Widerstand gegen eine vom Daimler-Benz-Konzern geplante Teststrecke bekannt. Die Teststrecke wurde schließlich nicht gebaut, weil das Bundesverfassungsgericht die dafür nötigen Enteignungen für unzulässig erklärte.
5 Schwäbisch für: »Das wollen wir auf gar keinen Fall!«
6 Am 29. Januar 1968 wollten Demonstranten einen FDP-Parteitag in Freiburg stören. Der renommierte Soziologe und FDP-Politiker Ralf Dahrendorf stellte sich den Studenten, stieg zu Studentenführer Rudi Dutschke auf ein Autodach und diskutierte mit ihm darüber, wie man zu Veränderungen in der Gesellschaft kommen könne – über das Parlament oder über eine außerparlamentarische Opposition.
7 Schwäbisch für: »kleiner Skandal«
8 Bei der OB-Wahl in Stuttgart im Jahr 1996 erhielt Grünen-Kandidat Rezzo Schlauch im ersten Wahlgang 30,6 Prozent. Der SPD-Kandidat kam auf 22,6 Prozent. Dennoch zog SPD-Landeschef Maurer seinen Kandidaten im Wahlgang nicht zurück. Schlauch verlor deshalb im zweiten Wahlgang gegen CDU-Kandidat Schuster.
9 Wenn es emotional wurde
10 Schwäbisch für: angesprochen, interessiert
11 Im Oktober 1994 legte Joschka Fischer sein Amt als hessischer Umweltminister nieder, nachdem die Grünen bei der Bundestagswahl den Wiedereinzug in den Bundestag geschafft hatten. Auch Rezzo Schlauch wurde 1994 Mitglied des Bundestages. Bei der Bundestagswahl im Herbst 1998 verlor die damalige Bundesregierung unter Helmut Kohl ihre Mehrheit. Es kam zur Bildung der ersten rot-grünen Koalition auf Bundesebene. Rezzo Schlauch wurde gemeinsam mit Kerstin Müller Vorsitzender der Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen.
Sibylle Lewitscharoff
Die Sprachtüftlerin
Der Schreibtisch ist penibel aufgeräumt. Die Schreibwerkzeuge liegen in Reih und Glied bereit – kein Stäubchen, kein Zettel weit und breit, alles wohlgeordnet. Man denkt unwillkürlich an das Wirken einer schwäbischen Hausfrau. Aber der Schreibtisch steht nicht in Stuttgart, sondern in einer liebevoll eingerichteten Altbauwohnung in Berlin-Wilmersdorf. Und an diesem fast klinisch sauberen Ort wird höchst fantasievolle deutsche Prosa produziert.
Sibylle Lewitscharoff lebt in dieser großen Maisonette-Wohnung mit Dachterrasse, die einen Blick über die Dächer von Berlin erlaubt, in einer ruhigen Nebenstraße gemeinsam mit ihrem Mann, einem Maler. Fast
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