Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
alle deutschen Literaturpreise hat sie in den letzten Jahren abgeräumt. »Blumenberg« sorgte für Furore in der Literaturwelt. Ein Roman über einen Philosophieprofessor, dem ein leibhaftiger Löwe erscheint. »Der Löwe war da. Habhaft, fellhaft, gelb.« Sie nennt ihn einen Zuversichtsgenerator. Sie liebt ungewöhnliche Wortkreationen.
Die Literaturkritik überschlägt sich – von der »NZZ« bis zur »Welt«. Und die »Zeit« nennt sie eine »literarische Extremtüftlerin«. Stilsicher bewegt sich die erfolgreiche Schriftstellerin in den Gefilden des Hochdeutschen, und ebenso selbstbewusst in den Niederungen des Dialekts. Wenn es sein muss. Man kann hören, dass sie Schwäbin ist – und sie steht dazu. In Stuttgart ist sie aufgewachsen, im Haus einer pietistischen Großmutter. Auch deshalb bin ich mit ihr zum Gespräch verabredet. Auf der Suche nach der »schwäbischen Seele«. Mit ihrem bulgarischen Vater und dessen Heimat hat sie literarisch abgerechnet. Das ist die eine Seite. Die andere: ihre schwäbische Identität. Es ist eindrucksvoll, was sie aus ihrer Kindheit und über Schwaben zu erzählen hat und wie selbstverständlich ihr »Entaklemmer« 1 noch heute über die Lippen kommt.
FRAU LEWITSCHAROFF, dass ich ausgerechnet jemanden, der Lewitscharoff heißt, nach der »schwäbischen Seele« befrage … Sind Sie denn Schwäbin?
Ein klares »Ja«!
So ein klares »Ja« habe ich auf meiner Reise bislang selten gehört.
Sogar ein feuriges »Ja«! Ich habe mich immer damit identifiziert. Mein Vater war Bulgare und ich liebte meinen Vater, ich verehrte ihn auch. Aber mit Bulgarien war überhaupt keine Identifikation möglich. Meine schwäbische Identifikation war, glaube ich, sogar stärker als bei den meisten meiner schwäbischen Mitschülerinnen.
Und wie erklären Sie sich das?
Das ist schwer zu deuten. Dass ein Kind, das mit einem doch etwas fremderen Vater aufwächst – obwohl der Mann sehr, sehr gut Deutsch sprach, aber kein Schwäbisch natürlich –, dass ein solches Kind vielleicht doch versucht, sich massiver in die Umgebung einzuleben und so zu tun, als gehörte es ausschließlich hierher …
Sie versuchten sich anzupassen, um dazuzugehören?
Und das habe ich sehr weit betrieben – die Dazugehörerei.
Sie haben ja mal geschrieben: »Ich bin ein schwäbisches Ordnungskind.«
Die schwäbische Familie war natürlich dominant. Wir wohnten bei meiner Großmutter im Haus, mütterlicherseits. Sie hatte zwölf Geschwister! Die Schwaben waren also die erdrückende Mehrheit – der Vater war da nur ein bunter Vogel, der komisch hinzugekommen war. Der schwäbische Ordnungssinn und natürlich auch bestimmte religiöse Vorstellungen waren sehr stark. Von der Großmutter geprägt.
Pietistisch?
Ja, pietistisch. Und sie hatte auf mich höchsten Einfluss, weil ich sie sehr liebte. Sie war sehr, sehr großzügig und ein liebenswürdiger Mensch. Es gibt ja auch liebenswürdige Fromme. Hin und wieder.
Die Pietisten sind ja etwas eigenwillige Leute?
Die sind eigenwillig und keineswegs immer nur auf der liebenswürdigen Seite. Aber die Großmutter war es, und das spielt für mich eine große Rolle.
Die Pietisten waren ursprünglich progressiv: Sie haben die Bibel individuell ausgelegt, von Luther weg. Jeder kann bei den Pietisten die Bibel selbst interpretieren.
Sie haben ganz stark auf das Volkserzieherische gesetzt: Jeder lebt in dieser Welt, jeder hat dazu etwas zu sagen, jedes Gemeindemitglied ist gleich wichtig. Das ist natürlich auch ein demokratischer und ein sehr populärer Zug.
Und ein egalitärer. Der Pietismus ist ja eine recht merkwürdige religiöse Richtung. Und Ursache für diese ungeheuer schwäbisch-konservative Haltung.
Ob man das immer nur konservativ nennen kann? Wenn man das im besten Sinne erlebt hat … Ich habe den Pietismus nicht aggressiv, ich habe ihn von einer großzügigen Seite erlebt.
Der Pietismus ist doch eher genussfeindlich. Alles, was Spaß macht, ist verboten.
Ja – und die schwäbischen Redewendungen lassen das ja auch immer noch durchblitzen. Wenn man einer Mutter begegnet und ihr Kind lobt, es sei hübsch. Dann kann eine Schwäbin sagen: »Es hätte schlimmer kommen können.«
Negativ loben.
Das Gute erst einmal abweisen. Es könnte gleich die Strafe folgen, wenn man das Gute einfach so annimmt. Das ist ganz typisch. Und auch: seinen Reichtum nicht ausstellen, wenn es ihn gibt. Meine Großmutter war die Jüngste, ihre älteste Schwester war mehrfache
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