Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
Millionärin. Eine Frau nur mit Volksschulbildung. Eine absolute Kriegsgewinnlerin. Im Krieg hat sie vom Land Schweinehälften in die Stadt gefahren – im Kinderwagen! Und hier hat sie sie verhökert. Mit ihren Gewinnen hat sie Häuser gekauft. Ganze Straßenzüge hat sie zusammengekauft.
Geschäftstüchtig! War sie auch fromm?
Nein, diese ältere Schwester meiner Großmutter war nicht fromm. Sie hat auch meine Großmutter dafür verachtet. Sie war mehrfache Millionärin – was in den 60ern etwas hieß, damals war das noch viel Geld! Wir reden von 1963, 1964.
In Stuttgart?
In Stuttgart.
Aber sie hat ihren Reichtum nicht gezeigt?
Sie hat in einer Drei-Zimmer-Wohnung gelebt – und zwei Räume waren grundsätzlich nicht beheizt.
Diese Sparsamkeit hatte ja einmal einen Grund: Württemberg war früher eine der ärmsten Regionen in Europa. Die Leute haben gelernt, mit wenig zu leben. Und wenn sie etwas hatten, es mit niemandem zu teilen, sondern den Besitz aufzusparen für die Zeit, wenn man ihn braucht.
Dabei war diese Tante durchaus großzügig. Sie hat schon mal was rausgerückt, Tante Luise, die nobelste Figur unserer Verwandtschaft. Mein Vater war damals noch ein kleiner Arzt im Robert-Bosch-Krankenhaus und hat noch nicht viel verdient. Tante Luise kam immer so reingerauscht – toll hat sie ausgesehen mit ihrem Charakterkopf. Wie eine Indianerin. Einmal hat sie sich pompös verabschiedet und gesagt: »Do en d’r Zuckerdos’, do henn’ er no äbbes!« 2 Da lag der Autoschlüssel eines VW! Um 1949, 1950 ein Riesengeschenk!
Eine beeindruckende Großzügigkeit. Auf der einen Seite also diese Sucht, möglichst viel Besitz anzuhäufen. Auf der anderen Seite diese Großzügigkeit.
Und selber ganz sparsam leben.
Eigentlich blöd, oder?
Ich bin sehr froh darüber, dass meine Familie großzügig war. Dass sie keine »Entaklemmer« waren. Das sind sie wirklich nicht gewesen. Und gleichzeitig hat dieses Nicht-protzen-Dürfen für mich auch seinen Reiz. Sein Geld nicht so zur Schau stellen dürfen.
Noch heute gelten die Schwaben im Rest der Republik als geizig und sparsam.
Ich sehe die Schwaben auf der Tugendseite. Ich kann dem Negativklischee wenig abgewinnen. Ich finde, dass es eine hervorragende schwäbische Eigenschaft gibt: sein Licht unter den Scheffel zu stellen, nicht zu protzen mit dem, was man hat. Auch nicht mit seinem Können zu protzen. Das ist doch immer eine alte Erziehungsregel gewesen – und diese finde ich nicht so schlecht.
Die führt aber auch zu diesem schwäbischen Minderwertigkeitskomplex.
Den kann man doch schnell überwinden, wenn man wirklich etwas kann. Das ist doch lächerlich! Diese gesellschaftliche Haltung, nicht ständig von Angebern umgeben zu sein, die mir erzählen wollen, dass sie die Größten sind, das ist doch sehr angenehm. Es ist doch angenehmer, mit jemandem zusammen zu sein, der nicht permanent von sich als dem Größten spricht. Es tut mir leid: Mir ist das angenehmer. Das erleichtert das Leben ungemein.
Sind Sie an dieser Stelle schwäbisch-pietistisch geprägt?
In gewisser Weise schon. Es gibt sicherlich auch Hamburger, die so denken – das ist nicht allein schwäbisch. Als Kind gab es für mich eine Demütigung, die auf mich stark gewirkt hat: Ich habe, ich glaube in dreimonatiger Arbeit, Kerne gesammelt und der reichen Tante Luise ein Mosaik gemacht. Da war ich sieben. Alles habe ich penibel in Kleinarbeit geschaffen und es dann der Tante zum Geburtstag geschenkt. Tante Luise guckt das Ding stirnrunzelnd an und stellt es umgedreht an die Wand. Das war’s.
Umgedreht, damit es nicht kaputtgeht?
Nein! Bei uns galt in der Erziehung, dass man sich nichts darauf einbildet: »Ich kann das alles … « Kindlicher Stolz, kindliche Emotionen, kindliche Arbeit – und dann ein kleiner, aber entscheidender Dämpfer.
In Ihren Büchern ist das Schwäbische eine feste Größe. Warum brauchen Sie diesen engen Bezug zu Schwaben?
Da bin ich auf der sicheren Seite. Jeder Schriftsteller, glaube ich, kann die Kindheit stark befeuern. Dieses merkwürdige Reich, das man nicht mehr erkennen kann, weil es verschwunden ist und worüber auch trügerische Fantasien existieren. Meistens stimmt es ja nicht, was man sich im Kopf zusammenbastelt. Aber trotzdem ist die Kindheit stark als Erlebnis – und man profitiert als Schriftsteller von starken Erlebnissen. Und die Kindheit ist schwer zu übertreffen in dieser Hinsicht.
Auf der anderen Seite rechnen Sie kräftig ab mit den
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