Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
beiden einzigen Rebellen, die es im Schwäbischen in den letzten 500 Jahren gegeben hat: der »Geißpeter« aus Beutelsbach, der im Jahr 1514 den Bauernaufstand des »Armen Konrad« angeführt hat. Und Helmut Palmer, der Bürokratenschreck, der in den 1960er- und 70er-Jahren gegen Behördenwillkür rebellierte. Aber nicht nur Rebellen lebten hier – das Remstal war auch eine Hochburg des Pietismus. Mittlerweile hat sich unter den Pietisten herumgesprochen: Jesus kam nicht aus Endersbach. Aber Mathias Richling. Der hat die Szene jesasmäßig 1 aufgemischt mit seiner ganz eigenen Art des Humors. Übrigens: Jesus wird im Schwäbischen gern zur Steigerung verwendet. Schwäbische Grammatik.
HERR RICHLING, wir haben gemeinsame Wurzeln. Beide haben wir bei der SDR-»Abendschau« 2 angefangen.
Die »Abendschau« war wichtig für meine Karriere. Ich habe dort eine ganz neue Auffassung von meinem Beruf entwickelt. Die »Abendschau« wollte von mir einen 14-tägigen Beitrag haben, drei Minuten »Richling«. So ein Format kann man über einen längeren Zeitraum nicht mit Themen wie Essen, Schlafen und Spazierengehen füllen. Also entstand der Wunsch, diese Dreiminüter mit aktuellen Themen zu bestücken. Und das war das erste Mal, dass ich mich mit politischen oder gesellschaftlichen Themen kontinuierlich auseinandersetzte. Und es war auch das erste Mal, dass ich dies sozusagen im Auftrag getan habe.
Ihre Geburtsstunde als politischer Kabarettist?
Das kann man so sagen. Früher waren die Texte, die ich Strauß oder Kohl in den Mund legte, nicht direkt auf konkrete Umstände bezogen. Mein »Strauß« hätte auch von Valentin sein können. Und Kohl habe ich das Buch der Heinzelmännchen anpreisen lassen. Weil ich ihn selbst als solches sah. Aber dennoch waren auch diese Nummern eher literarisches Kabarett. Damals war immer meine Sorge: Wenn denen was passiert oder sie aus der Politik verschwinden, dann kann ich den Text wegschmeißen. Durch die Hinwendung zum Aktuellen hat sich das dann aber noch potenziert: Manchmal musste ich meine Programme innerhalb eines Tages zur Hälfte entsorgen – weil die Aktualität den deutschen Bürger schon wieder eingeholt hatte. Da waren die Beiträge für die »Abendschau« ein hervorragendes Training. Denn ich habe ja in diesem Rahmen allein mindestens 250 Sendungen gemacht in knapp zehn Jahren.
Eins meiner schönsten Programme für den »Bruddler«, 3 den ich für die »Abendschau« entwickelt hatte und der ja der Vorgänger Ihrer Figur war, ist an einem heißen Sommertag entstanden. Wir saßen in der Redaktion zusammen, es ist uns überhaupt nichts eingefallen. Da sagte irgendwann einer: »Leut’, Leut’, Leut’!« Das war die Lösung! Wir haben den Bruddler dann eineinhalb Minuten lang nur diese drei Worte sagen lassen: »Leut’, Leut’, Leut’!« Das war eine der erfolgreichsten, schönsten Nummern. Es war sensationell. Die Leute haben sich halb totgelacht. Und es passte in die Stimmung dieses heißen Sommertages. Wenn man aktuell sein muss, wird man auch kreativ.
Na klar. Das Gehirn ist auch vor allem ein Muskel, der täglich trainiert werden muss. Die kreativste Zeit für mich war 1989/1990. In dieser Wendezeit habe ich die Programme manchmal im Halbstundentakt komplett umschreiben müssen. Die Ereignisse haben sich überstürzt.
Sie haben Ihre Karriere als »Fernsehschwabe« begonnen.
Die Karriere in der politisch aktuellen Satire, ja. Aber angefangen hatte ich ja schon einige Jahre vorher. Als die »Abendschau« bei mir anklopfte, hatte ich bereits mein fünftes Soloprogramm geschrieben. Dieser »Fernsehschwabe« für die »Abendschau« aber, da haben Sie recht, war ein weiterer Beginn. Ich habe übrigens dieser Figur absichtlich keinen Namen gegeben, damit es mir nicht ergeht wie anderen mit ihren Kunstfiguren. Jürgen von Manger wurde beispielsweise stets als »Tegtmeier« angesprochen. Ich wollte auch noch was anderes sein als eine Figur aus meinem Repertoire.
Außerdem beinhaltet diese Figur des »Fernsehschwaben« in sich sogar mehrere Figuren. Sie hat sich im Lauf der Jahre stark entwickelt. Am Anfang war sie noch ganz langsam. Fast lethargisch. Der Grundtenor war, nachzuweisen, dass das Fernsehen den dauerkonsumierenden Zuschauer reduziert und eindimensional macht. Je aktueller die Themen dann aber wurden, desto agiler wurde diese Figur auch.
Dazu gab es die Vorgabe, dass der Beitrag immer nur drei Minuten lang sein durfte. Und bevor ich kürzen sollte, redete ich
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