Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
Herr Kretschmann bemüht sich darum, das wieder zu kitten. Er beruft sich vernünftigerweise auf den demokratischen Beschluss mit der Volksbefragung zu Stuttgart 21 vom November 2011. Und Demokratie heiße eben nicht, dass man Lügen nachweist, sondern dass man Kompromisse findet. Das ist eine sehr philosophische und ethische Grundsatzhaltung, die jedem gesunden Menschenverstand zu widersprechen scheint – aber mit seiner neuen Art, die Menschen an die Hand zu nehmen, könnte es Kretschmann gelingen, sie zu überzeugen.
Der schwäbische Bruddler ist ja ein Individualist, der kein Publikum braucht. Plötzlich aber tauchten hier Zehntausende von Schwaben auf – was ist da in den Köpfen passiert?
Es ist gewiss ein merkwürdiges Phänomen. Sogenannte Konservative, Unternehmer, die ihr Geschäft auf der Königstraße haben, die ihr Leben lang CDU gewählt hatten, sind plötzlich aufgestanden. Aber der Schwabe ist eben auch international. Auch er ist nur Teil unserer neuen Informationsgemeinschaft. Sie erleben das an vielen anderen Beispielen. Früher war es möglich, Dinge zu vertuschen oder einfach wegzukehren. Das ist heute undenkbar. Stellen Sie sich die Wulff-Affäre vor 15 Jahren vor: Nach zwei Wochen hätte keiner mehr danach gefragt. Danach wäre Herr Wulff vermutlich sogar noch mal wiedergewählt worden. Das ist heute nicht mehr möglich.
Ist der Schwabe ein Auslaufmodell?
Also bitte! Der Schwabe wird im Gegenteil immer internationaler. Wir sind zwar immer schon international gewesen – »Made in Germany« ist ja vor allem »Made in Schwaben«. Diese deutsche Zuverlässigkeit ist doch hier in Schwaben noch potenziert worden – von Mercedes bis Bosch. Wir sind kein Auslaufmodell.
Das heißt, Sie halten das Modell, das Grün-Rot darstellt, für fortsetzbar?
Das Wahlergebnis spricht übrigens auch für eine große Cleverness des Schwaben, der sogar bis auf die Stelle hinter dem Komma unglaublich raffiniert und knitz 5 wählt. Den Grünen ein Prozent mehr zu geben als der SPD war von großer politischer Weitsicht!
Wobei Mappus als Ministerpräsident für Sie als Kabarettist doch reizvoller gewesen wäre.
Das würde bedeuten, dass man hofft, die Unseligen bleiben lange am politischen Ruder, nur damit man als Kabarettist etwas zu mäkeln hat. Das wäre ja dann wirklich l’art pour l’art. Das kann Satire nicht sein. Satire und Kabarett zielen auf Veränderung. Und dass Mappus geht, dafür haben auch wir Kabarettisten immerhin gekämpft. Also wäre es natürlich nicht reizvoller, wenn er noch da wäre. Aber keine Sorge: Auch Herr Kretschmann hat ja, wenn auch aus völlig gegensätzlichen Gründen, mittlerweile Kultstatus erreicht. Ich habe ihn von Anfang an in meinen Programmen. Und das ist für die Zuschauer ausgesprochen »reizvoll«.
Nach dem »Fernsehschwaben« wurde das Schwäbische immer weniger in Ihren Programmen. Ist Ihnen der Dialekt zu provinziell?
Erstens täuscht das und zweitens nein! In meinen Programmen gab und gibt es immer viele Figuren, auch schwäbische. Aber als »ich« habe ich auf der Bühne noch nie schwäbisch gesprochen.
Haben Sie ein Problem mit Schwäbisch?
Wieso das denn? Im Gegenteil: Ich häng’s ja überall raus. Gerade eben auch in der aktuellen Zeit hänge ich es überall raus. Ich nutze das Schwäbische, aber durchaus auch andere Dialekte, darüber hinaus so viel wie möglich, weil ich in den Figuren sehr viel drastischer sein kann, als wenn ich es selbst sagen würde.
Kann man im Dialekt bösartiger sein?
Viel bösartiger. Wenn die Leute einen Text im Dialekt hören, können sie in schockierenden Momenten sich immer auf die nicht reale Figur rausreden, statt abzuschalten. Deshalb ist der Dialekt sehr hilfreich, um Dinge unter Umständen auch brutal und schonungslos auszudrücken. So wie die Wahrheiten eben oft brutal sind. Andererseits muss man im Dialekt sich aber auch viel drastischer ausdrücken – sonst wird es leicht als harmlos abgestempelt.
Sind Sie ein richtiger Schwabe?
Natürlich. Darüber hinaus: Was ist ein richtiger Schwabe? Wir wissen ja, dass die Deutschen, die nach Italien ziehen, noch italienischer sind als die Italiener. Und umgekehrt gilt das auch. Diejenigen, die einwandern, sind ja meistens die 100-prozentigen Eingeborenen.
Weil sie überzeugt sind …
Oft mehr als die, die dort aufgewachsen sind. Natürlich bin ich Schwabe! Aber meine Eltern waren keine Schwaben.
Wo kommt Ihre Familie her?
Meine Urgroßmutter kommt aus Frankreich, mein
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