Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
dieses Südländische nicht zu verleugnen. Deswegen sieht unser Fußball heute besser aus. Auch deswegen ist er weltbekannt. Wir haben zwar noch keine Titel gewonnen bei den letzten Turnieren, aber wir haben die Menschen unheimlich begeistert. Weltweit. Der deutsche Fußball steht jetzt nicht mehr nur für grätschen, ackern, laufen, kämpfen …
Nicht so verbissen wie Oliver Kahn?
Das ist ein richtig gutes Fußballspiel geworden. Technisch versiert. Und das hat viel mit den Jungs zu tun, die aus verschiedenen Ländern kommen, aber hier in Deutschland aufgewachsen sind. Die sind sicher manchmal hin und her gerissen in ihren Gefühlen – aber trotzdem sind sie stolz darauf, die Farben zu repräsentieren.
Sami Khedira hat sich zu einem Führungsspieler entwickelt. Können Sie sich vorstellen, dass ein Spieler mit Migrationshintergrund irgendwann auch Nationalmannschaftskapitän wird?
Das könnte so kommen. Er ist sicherlich einer dieser Spieler, die einen unheimlichen Führungsanspruch haben, die sich hochgearbeitet haben. Er ist ja auch in Stuttgart geboren – und beim VfB groß geworden. Sami Khedira ist heute ja ein total typischer schwäbischer Name!
(Beide lachen.)
Und er wird vielleicht irgendwann einmal die Nationalmannschaft anführen. Ich hoffe das, weil er ein fantastischer Fußballer und vor allem auch ein Mensch ist, der sich alles selbst erarbeitet hat.
Es heißt ja immer: Multikulti ist tot. Aber offensichtlich gibt es da einen Unterschied zwischen dem Fußball und der politischen Wirklichkeit?
Ich weiß nicht, wie man auf die Idee kommen kann, dass das tot sein soll! Schauen Sie doch mal auf unsere Straßen. Das prägt doch die Gesellschaft. Es ist doch normal, dass es viele verschiedene Kulturen gibt, die in einem Land leben. Und die leben friedlich miteinander. Das ist doch nicht nur im Fußball so! Was gibt es denn Schöneres?
Was haben Sie denn als ehemaliger Jugoslawe eingebracht?
In manchen Drucksituationen eine gewisse Lockerheit. Über Dinge auch mal zu lächeln, wenn die anderen sich einen Kopf machen! Dann heißt es: »Da grinst er wieder …« Aber das Leben ist so. Auch in schwierigen Phasen musst du nach vorne schauen.
Ist das nicht ein Widerspruch zu den von Ihnen vorhin beschrieben deutschen Tugenden?
Wenn ich mich auf einen Punkt konzentrieren muss, brauche ich diese deutschen Tugenden. Aber um Dinge zu verarbeiten, da brauche ich das andere.
Es braucht die Mischung?
Da brauche ich genau das, was ich aus dem Balkan habe. Dass ich dann auch noch lächeln kann. Richtig, wenn andere das halbleere Glas sehen, sehe ich das halbvolle.
Haben Sie den Eindruck, dass die Schwaben auch was von dem ehemaligen »Jugo« annehmen?
Ich glaube schon, dass sie was annehmen können – wenn sie wollen. Aber das sind manchmal auch Riesensturköpfe, wenn es sein muss. Dann sind sie verbohrt. Das ist ja nicht nur im Fußball so. Über Stuttgart 21 können Sie ja hier mit fast keinem mehr normal reden. Da ist auf beiden Seiten die Meinung verfestigt.
Schwarz oder weiß?
Es gibt aber auch grau. Es gibt Pro und Contra. Bei allen Themen. Auch beim VfB Stuttgart. Alles nur schlecht zu sehen, wenn man mal ein Spiel verloren hat – und dann ist alles wieder gut, weil man ein Spiel gewonnen hat? Wir sollten auch Demut lernen. Gerade die Bundesliga beginnt jedes Wochenende offen – das ist ein super spannender Wettkampf.
Was kann man vom Fußball lernen?
Toleranz und Respekt vor anderen. Wie man miteinander umgehen kann. Gewiss auch Fairplay. Wenn man mal in eine Bundesliga-Kabine reingeht und sieht, wie viele verschiedene Nationalitäten da sind und wie die miteinander umgehen: Da wird fast nur deutsch geredet – weil es jeder versucht. Sicherlich wird mal mit Englisch ausgeholfen oder mit Französisch. Aber eigentlich ist das ein Traum! Das muss man ganz ehrlich sagen. Dass so was möglich ist! Was bei uns im Alltag vielleicht noch nicht so gesehen wird. Da wird »der Ausländer« vielleicht manchmal noch argwöhnisch betrachtet. Im Fußball ist das total normal und es macht unglaublich viel Spaß zu sehen, wie so was funktionieren kann.
Es gibt tatsächlich keine Schwierigkeiten in einer Mannschaft?
Man hat Respekt vor anderen Religionen oder Nationalitäten. Die Jungs gehen wirklich sehr gut miteinander um. Wenn man überlegt, dass wir hier 15 Nationen haben in unserer Mannschaft.
Es gibt mittlerweile schwule Politiker. Das hat man sich vor 15 Jahren nicht vorstellen können …
Wowi 4
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