Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
Großvater kam aus Österreich, Tschechei damals. Meine Mutter kam aus dem hannoverschen Raum, sie sprach also das perfekte Hochdeutsch. Mein Vater ist aufgewachsen in Frankfurt. Und so weiter.
Wo haben Sie Schwäbisch gelernt?
Von schwäbischen Nachbarskindern. Meine Eltern sprachen es ja nicht. Dazu kam, dass ich auf die Merz-Schule gegangen bin, ein privates Gymnasium hier in Stuttgart. Da wurde natürlich auch wenig schwäbisch gesprochen, weil dort Schüler aus der ganzen Bundesrepublik und teilweise aus dem Ausland waren.
Das heißt, Schwäbisch war für Sie die erste Fremdsprache?
Ich habe mit fünf Jahren so schwäbisch gesprochen, dass meine Mutter mich nicht verstanden hat. Danach bin ich zweisprachig aufgewachsen.
Also Ihr Ehrgeiz war es nie, ein Vorzeigeschwabe zu werden wie der Willy Reichert.
Nein. Auch, weil ich das für mich für problematisch hielt. Je mehr die Leute ein festes Bild von einem haben, und wenn es das des Vorzeigeschwaben ist, desto schwieriger ist es, aus diesem Bild wieder rauszukommen.
Viele Witzbolde haben das schwäbische Image über Jahrzehnte mit ihren »Kehrwochen-Witzen« geprägt.
Es gibt bestimmte Bilder, die man nicht los wird im Leben – und so wird man auch diese Kehrwoche nicht los. Auch da haben sich die Schwaben längst verändert und sind internationaler geworden.
Es waren und sind vor allem Schwaben, die diese blöden Witze verbreiten.
Ich fühle mich nicht berührt durch diese Witze. Außerdem gibt es einen natürlichen Urwitzmechanismus, in dem vieles einfach ausgetauscht wird. Wir wissen, dass die meisten Ostfriesen-Witze auch als Österreicher-Witze funktionieren. Und als Witze über die Schwaben kennt man sie dann auch irgendwann.
Auch viele jüdische Witze.
Was den jüdischen Witz angeht, da muss ich sagen: Diese Hintergründigkeit, diese unglaubliche philosophische Genialität eines jüdischen Witzes, mit kurzen Sätzen oder manchmal mit einem Wort etwas zu präzisieren – da hat sich der Schwabe sehr viel abgeschaut.
Es gibt ja den wunderbaren Witz über den Pietisten, den kennen Sie wahrscheinlich ja auch?
Erzählen Sie!
Ein Pietist liegt auf dem Sterbebett und ruft im letzten Augenblick nach einem katholischen Pfarrer. Die Familie ist verzweifelt: »Um Gottes Willa, worom denn dees?« 6 Seine Antwort: »Besser, ’s stirbt oiner von dene als oiner von ons!« 7
Das ist ein jüdischer Witz!
Genau – das ist ursprünglich ein jüdischer Witz.
Wie jüdisch sind wir eigentlich, muss man da fragen?! Als ich klein war, zogen wir irgendwann mal um und die schwäbische Vermieterin schenkte mir eine Schachtel voller Silberpapierchen – zum Spielen. Die hatte sie schön glatt gestrichen. Und ich fragte: »War da Schokolade drin?« Worauf sie erstaunt ausrief: »Ja, wie der Junge das weiß! Ja, da war Schokolade drin!« Das waren sogenannte Katzenzungen. Die hatte sie vorher rausgefressen. Und mir gab sie das Verpackungsmaterial – zum Spielen. Jetzt verstehen Sie, warum ich Kabarettist werden musste.
Ist das schwäbisch?
Das ist schwäbisch!
Es gibt ja diesen schönen Witz: »Des isch äbes args, was i Wurscht fresse muss bis meine fünf Kender von der Haut satt werdet!« 8
Genau das ist es! Sehr hintergründig. Es ist eben immer so eine Doppelheit in uns.
»So isch no au wieder!« 9 Sie meinen diese Haltung?
Auf der einen Seite gelten wir als sehr bieder und sehr langsam – und trotzdem bauen wir die schnellsten Autos in Deutschland. Warum ist der Schwabe so? Weil er das, was er am Stammtisch tut, nämlich bruddeln, eben auch im Erfinden macht. Tüfteln ist nichts anderes als Bruddeln im Mechanischen.
Ned schlecht! 10
»Mei Alde!« 11 Das sind Koseworte im Schwäbischen. »Du alds Arschloch!« Das ist kein Schimpfwort. Man beleidigt nicht. Und man ist auch nicht beleidigt. »Wo kommsch denn du alds Arschloch her?« Das ist sehr freundlich gemeint. Denn es bedeutet, dass der Schwabe eigentlich immer in der Lage ist, das Menschliche zu sehen. Jeder weiß ja von sich, dass er selbst auch mal ein Arschloch sein kann, irgendwann im Leben. Dann darf es der andere ebenso sein. Und dann kann man ihn auch so nennen. Der Schwabe weiß: Wir sind alle fehlbar.
1 Schwäbisch für: sehr
2 TV-Magazin-Sendung im Vorabendprogramm des Süddeutschen Rundfunks Stuttgart (heute SWR), die Ulrich Kienzle von 1968 bis 1972 leitete
3 90 Sekunden lang räsonierte der Stuttgarter Schauspieler Werner Veidt als »Bruddler« einmal wöchentlich über
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