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Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)

Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)

Titel: Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kienzle
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lieber schneller. Am Schluss habe ich potenzielle fünf Minuten in die drei Minuten gepresst. Was ich allerdings bald wieder verlangsamen musste, da ich mich oft bei späterem Anhören selbst nicht mehr verstanden habe.
    Sie haben also die Entwicklung des Schwaben vorweggenommen – vom langsamen »Bruddler« zum »Wutbürger«. Was ist denn passiert mit den Schwaben?
    Nun, wenn Sie die Erweiterung des demokratischen Bewusstseins beim Schwaben, ausgehend von Stuttgart 21, ansprechen, so ist es tatsächlich so, dass wir uns – ich sage ganz bewusst: wieder einmal! – bewiesen haben als wach und widerstandsfähig und renitent, wenn man uns hinters Licht führen will. Was dem Schwaben nachgesagt wird als Biederkeit und Behäbigkeit ist etwas, was wir nur als Deckung benutzen, um andere in Sicherheit zu wiegen. Für Fremde mag hier Erstaunliches passieren. Für den Schwaben ist es eigentlich normal. Wir haben nur zu lange Geduld praktiziert.
    Eine revolutionäre Situation?
    Ganz gewiss. Aber die gab es im Ländle schon oft. Denken Sie an Schiller, denken Sie an … ach, denken Sie einfach an die Schwaben.
    Aber es hat nie gelangt zur Revolution.
    Wenn Sie die umstürzlerische, radikale Revolution meinen, vielleicht nicht. Wir sind eher für die schleichende, die lang angelegte Veränderung – und die funktioniert dann auch.
    Hat sich der Schwabe am Stuttgarter Sackbahnhof neu erfunden – oder war dieses Rebellische schon immer Teil von ihm?
    Wenn wir in zehn Jahren zurückblicken, dann wird diese Zeit 2010/11 als Umbruchzeit gelten für das, was an Veränderung gerade passiert ist in unserer Gesellschaft. Es verändert sich ein Bewusstsein für demokratische Beteiligung. Und es entsteht ein viel intensiverer Wille, Politik mitzugestalten oder zumindest gehört zu werden von denen, denen der Wähler die Gestaltung anvertraut hat. Natürlich hat das zu tun mit den neuen Möglichkeiten der Information und den neuen Möglichkeiten der Mitteilung durch das Internet. Es ist eine Zeit des Wunsches nach mehr oder auch nach anderer Demokratie. Und es ist damit eine Zeit ähnlich wie die von 1989. Vom Osten her schwappte zu uns ein unglaublicher Wille nach Demokratie und Bürgerbeteiligung. Damals gab es nur einen Unterschied: Die Ossis wollten Freiheit und wir haben sie vollgestopft mit Videorekordern und Gebrauchtwagen. Damit waren sie schnell befriedigt und haben denen, die die Wende erstritten haben, wie Bärbel Bohley zum Beispiel, bei der ersten gemeinsamen Bundestagswahl nur ein paar Prozent gegeben.
    So leicht funktioniert das heute nicht mehr. Wir sind alle ziemlich satt und können uns nachhaltiger an ideellen Werten festhalten.
    Ist auch für Kabarettisten Stuttgart 21 noch ein Thema?
    Für mich ist es ein Thema, weil es mich zutiefst umtreibt, wie mit falschen Angaben, Tricksereien und Umgehung von Gesetzen und Normen, auch EU-Normen, der gesunde Menschenverstand zerstückelt, gemixt und unkenntlich gemacht wurde. Wahrscheinlich können nur noch Katastrophen den Bahnhof stoppen – wenn eine Wasserquelle aufsprudelt zum Beispiel und ganz Stuttgart als großes Pissoir oder als Spaßbad endet. Die politischen Möglichkeiten sind ausgeschöpft.
    Aber Sie sagen doch: Es geht eigentlich gar nicht um den Bahnhof.
    Der Bahnhof ist das auslösende Moment. Es geht um unser Demokratieverständnis und das der Regierenden. Wir fragen uns doch auf internationaler Ebene, wie es sein kann, dass Griechenland sich den Weg in den Euro erschlichen und erlogen hat und es trotzdem nicht rausgeschmissen wird? Ich weiß: Die Lissabonner Verträge sehen Ausschluss oder Strafen wegen vorsätzlich falscher Angaben nicht vor. Aber vielleicht ist das mit ein Grund, warum Europa vielen immer unverständlicher vorkommt.
    Die Griechen waren doch pfiffig!
    Pfiffig? Auf dieselbe Weise hat sich die Bahn Stuttgart 21 erschlichen. Mit falschen und unrichtigen Angaben, mit Weglassungen – ob es jetzt die Signalanlagen oder die elektrischen Leitungen im Tunnel sind oder ob die Bahnsteige eine Steigung vom ersten bis zum letzten Wagen haben, die zwei Stockwerken entspricht, also über sechs Meter, sodass Rollstuhlfahrer und Kinderwägen 4 dann die Bahnsteige nur so runterrattern.
    Aber es gibt noch etwas Weiteres, was zerstört wurde mit diesem Mammutprojekt. Nicht nur das Vertrauen in die Politik. Ich kenne Familien, die sich 30 Jahre lang jede Woche zum Essen verabredet haben. Jetzt sprechen sie nicht mehr miteinander. Und das ist sehr unschwäbisch.

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