Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
Naturkundemuseum ganz bewusst ausgesucht. Hier kann man die Entstehung der Arten bewundern, hier wird die Gefährdung durch den Menschen sichtbar. Ein grünes Politik-Anliegen. Aber ich will mit ihm natürlich nicht über die Entwicklung der Arten reden, sondern lieber über die Unart, mit der ihn gelegentlich die grüne Basis behandelt. Hauptthema aber ist natürlich Özdemir, der Schwabe. Der braucht schon eine gewisse Leidensfähigkeit, um als Vorsitzender der Grünen durchzuhalten – zumal an seiner Seite noch die etwas schrille Co-Vorsitzende Claudia Roth aufs Podium drängt. Cem Özdemir hat alle Höhen und Tiefen einer politischen Karriere durchlaufen. Seine Lebenskrise traf ihn, als bekannt wurde, dass er von dem zwielichtigen Medienberater Moritz Hunzinger einen Kredit angenommen hatte. Zur Strafe verbrachte er einige Jahre als Europa-Abgeordneter im Brüsseler Exil.
Aber er hat es schon lange wieder geschafft. Er ist Parteivorsitzender, wenn auch manchmal umstritten. Die Öffentlichkeit geht gnädiger mit ihm um. Wie die Verleihung des »Ordens wider den tierischen Ernst« zeigt. Ein deutliches Zeichen, dass Özdemir in Deutschland angekommen ist. Nur eben nicht bei allen Grünen. So sind sie halt. Seine Partei»freunde«. Die Zeit für unser Gespräch ist knapp, der nächste Termin wartet – ein Rendezvous mit der Parteibasis. Es geht um die Urwahl.
Jetzt taucht er in der Bibliothek auf. Mit einer weißen Tüte in der Hand, aus der alle Wohlgerüche der orientalischen Küche kommen.
HERR ÖZDEMIR. Aus der Gugg 1 riecht es ja verdammt gut raus. Was ist denn das?
Das ist Börek 2 und Simit. 3 Ich komme gerade von einer Veranstaltung in der Moschee von Feuerbach. 4 Da ging es um die OB-Wahl. Und da haben sie mir Stärkung für den Wahlkampf mitgegeben. Ist lecker. Wollen Sie probieren? – Aber was ist denn das?
(Er hat gesehen, dass sich in meinem Fragemanuskript versehentlich ein »e« vor das »d« seines Namens geschlichen hat. Er nimmt mein Skript und streicht das »e« heraus.)
Özdemir ist schon schwer genug. In der Realschule hieß es immer: »Heute schon geözt? Öz du mir, öz ich dir!« Und irgendwann wurde aus Özdemir auch »Özdemaier« … Mit dem Namen im Schwäbischen! Herr Kienzle, das können Sie sich ja vorstellen!
Und das schon lange vor der »Ötzi«-Zeit? 5
(Er lacht.)
Stimmt – das war noch bevor der Ötzi gefunden wurde.
Haben Sie deshalb das Rosenstein-Museum für unser Gespräch gewählt?
Ich bin in Berlin ganz oft im Naturkundemuseum – weil es bei unserer Bundesgeschäftsstelle ums Eck liegt. Und das Naturkundemuseum hier in Stuttgart ist natürlich toll – schon allein die Lage ist doch ein Traum! Meine Tochter ist jetzt sieben Jahre alt und da ist das natürlich super: Alles, was mit urzeitlichen Wesen zu tun hat, ist ein wunderbarer Einstieg, um darüber zum Heute zu kommen. Und zum Thema Natur und Umwelt. Ein spielerischer Einstieg. Für einen, der zwei Kinder hat, ist das klasse.
Sie nennen sich ja einen anatolischen Schwaben …
So ist es, ja.
Ihr Vater war aber Tscherkesse. Er war also kein richtiger Türke?
Er hat tscherkessische Vorfahren, das ist richtig.
Was sind Sie denn – Tscherkesse, Türke oder Schwabe?
Bei meiner Wahl in den Bundestag war meine Herkunft ein großes Thema in der Türkei. 6 Vom Staatspräsidenten bis zu allen Parteivorsitzenden und auch wichtigen Unternehmern – alle haben sich gemeldet, um mir zu gratulieren. Und natürlich auch ein bisschen, um mich zu vereinnahmen. »Der ist einer von uns!« Ich musste immer erklären: »Ich bin hier nicht der Botschafter der Türkei. Ich bin deutscher Abgeordneter.« Ich habe natürlich einen Bezug zur Türkei über meine Eltern und viele gute Freunde. Und auf der deutschen Seite haben mich immer alle »Spätzles-Türke« genannt.
Das klingt ziemlich abwertend?
Es gab auch noch den »Deutsch-Türken«. Und den »Euro-Türken«. Da dachte ich mir: »Bevor sich einer dieser Namen festsetzt, musst du dir selbst einen geben.« Offensichtlich gab es den Wunsch, einem, der Cem Özdemir heißt, irgendein Label aufzudrücken. Also habe ich nachgedacht. Und ich kam zu dem Ergebnis, dass ich mich lieber als »anatolisch« und nicht als »türkisch« bezeichne. In dem Wort »anatolisch« sind auch die eingebunden, die früher schon in Anatolien gelebt haben und genauso zur Türkei gehören – Griechen, Armenier oder beispielsweise Assyrer. Und da sind diejenigen mit dabei, die zugezogen sind, weil
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