Ulysses Moore – Die steinernen Wächter
noch neben der Lok stand. »Nimm die Taschenlampe.«
»Rick hat recht«, fand Julia, die sich behutsam einen Weg durch die Finsternis bahnte. »Und warte auf uns!«
Doch Jason konnte sich vor lauter Ungeduld und Neugier kaum noch beherrschen. Er erreichte die Wand der Höhle, tastete an ihr entlang und entdeckte zu seiner großen Verblüffung etwas, das sich wie ein Lichtschalter anfühlte.
Er drückte auf den Knopf.
Einer nach der anderen gingen Lampen in der Höhle an, die eine hohe, steile Treppe säumten.
»Wahnsinn!«, murmelte Julia angesichts der unglaublichen Größe der Höhle, in der sie sich befanden.
Immer noch schalteten sich weitere Lichter an und nach und nach wurden die oberen Bereiche der in Serpentinen verlaufenden Treppe sichtbar. Jetzt sah man auch die Spitzen langer Stalaktiten, die von der hohen, immer noch im Dunkeln liegenden Decke der Höhle herabhingen, und die Stalagmiten, die vom Boden der Höhle nach oben wuchsen. Sprachlos vor Staunen bewunderten die drei die zarten Umrisse der bizarren Felsformationen.
»Ich glaube, ich brauche die Taschenlampe nicht mehr«, meinte Jason grinsend.
Sie hatten den Ort gefunden, an dem alles begonnen hatte.
Sie stiegen den ersten Abschnitt der Treppe hinauf. Nachdem sie zwischen zwei Stalaktiten hindurchgegangen waren, die sich wie Wächter rechts und links neben der Treppe erhoben, sahen sie sich plötzlich einer Art Käfig gegenüber, der mit schmiedeeisernen Blumenranken verziert war. Er hing an einem Metallseil, aber sie konnten nicht erkennen, wo es befestigt war.
Im schwachen Licht der Lampen kam es Jason vor, als zeichneten sich weiter oben am Seil die Umrisse eines Flaschenzugs ab. Er ging zum Käfig und öffnete dessen Flügeltüren. Innen war er mit dem gleichen roten Teppichboden ausgelegt wie der Führerstand der Lokomotive.
»Will einer von euch den Aufzug nehmen?«, fragt er. Julia und Rick besahen sich den eisernen Käfig mit größtem Misstrauen.
»Ich gehe lieber zu Fuß«, beschloss Julia.
Rick sagte nichts. Ihm stand der Schweiß auf der Stirn. Er hatte sich eine alte Ledertasche umgehängt, in die er all das gepackt hatte, was sie mitnehmen wollten.
»Na, dann eben nicht«, brummelte Jason und schloss die Flügeltüren des Aufzugs wieder.
Schweigend stiegen sie die Treppe hinauf und zählten dabei die Stufen zwischen einer Lampe und der nächsten. Weil sie mit einigem Abstand zueinander hingen, verlor Rick, der das Schlusslicht bildete, sowohl Jason als auch Julia manchmal vollkommen aus den Augen. Er konnte jedoch immer ihre Schritte hören. Erst wenn sie sich wieder einer Lampe näherten, erkannte er ihre Umrisse im schwachen Licht.
Es schien ihnen so, als würden sie schon seit einer Ewigkeit diese Treppe hinaufsteigen. Die Silhouetten der Stalaktiten und Stalagmiten waren faszinierend und beunruhigend zugleich. Und der Umstand, dass sie nichts anderes hörten als das Tropfen von Wasser, das Geräusch ihrer Schritte und ihren schnaufenden Atem, machte den riesigen dunklen Raum jenseits der Treppe nur noch unheimlicher.
Als sie an ein kleines Rinnsal kamen, das über die Treppe floss, bat Rick die beiden anderen stehen zu bleiben. Er wollte die Wasserflasche füllen.
Er trank als Erster. Das Wasser war kalt und sandig und hatte einen ganz eigenen Geschmack. Rick gab die Flasche an Julia weiter.
»Wo sind wir hier bloß gelandet?«, fragte die, als sie Jason die Flasche reichte.
»Auf jeden Fall ist es ein fantastischer Ort«, meinte Rick und wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn. »Absolut fantastisch!«
»Ja, aber wo mag er wohl liegen?«
»Dort, wo alles angefangen hat«, sagte Jason.
Rick nahm ihm die Flasche ab und füllte sie wieder auf, bevor er fragte: »Alles was?«
»All das, was wir herausfinden müssen«, erwiderte Jason und nahm die übrigen Stufen in Angriff.
Nach mindestens tausend Stufen und hundert Kurven erreichte Jason den Absatz, von dem aus man den Metallhaken sah, an dem der Flaschenzug für den Aufzug hing.
»Ich würde sagen, dass wir jetzt oben angekommen sind«, murmelte er und lehnte sich an der Wand an.
Julia schaute nach vorne. Dort hörten die Lampen auf und die Decke der Höhle senkte sich in steilem Winkel nach unten. »Was mag das da vor uns sein? Ein Tor?«
»Nein, das sieht mir eher wie ein Gitter aus, mit einer verschlossenen Tür.«
Kurz darauf hatte auch Rick sie erreicht und schleuderte die alte Ledertasche auf den Boden. »Na, klasse! Eine verschlossene
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