Ulysses
Corleys nagelneue Litanei, gleichwertig der früheren, schwerlich viel Glauben verdiente. Jedoch haud ignarus malorum miseris succurrere disco etcetera, wie der lateinische Dichter bemerkt, besonders da das Glück es wollte, daß er sein Salär stets nach der Mitte des Monats am sechzehnten erhielt, was tatsächlich gerade der heutige Tag war, obwohl sich ein gut Teil des Nötigen bereits verflüchtigt hatte. Doch das Tollste an dem Scherze war, daß Corley sich nicht dazu bringen ließ, sich des Gedankens zu entschlagen, er, Stephen, lebe doch im Überflusse und hätte nichts weiter zu tun, als das bißchen Bares, was hier nötig sei, springen zu lassen – wohingegen. So tat er denn die Hand in eine Tasche, nicht in der Meinung, irgend Eßbares dort zu finden, sondern mit dem Gedanken, er könnte ihm stattdessen eine Kleinigkeit leihen, bis zu einem Schilling oder so, damit er sich auf alle Fälle erst einmal umtun und sich genügend zu essen besorgen konnte. Doch das Ergebnis war negativ, denn zu seiner Betrübnis stellte er fest, daß sein Geld nicht mehr vorhanden war. Ein paar zerbrochene Biskuits waren das ganze Resultat seiner Nachforschung. Er mühte sich angestrengt, sich für den Augenblick zu erinnern, ob er es wohl verloren habe, wie es durchaus möglich war, oder irgendwo liegen gelassen, in welchem Falle sich eine gar nicht angenehme, sondern vielmehr sehr gegenteilige Aussicht eröffnete. Er war jedoch viel zu erschöpft, um eine durchgreifende Suche zu veranstalten, wenn er sich auch bemühte, bezüglich der Biskuits, deren er sich dunkel entsann, eine Erinnerung zu gewinnen. Wer hatte sie ihm eigentlich gegeben, und wo war das gewesen, oder hatte er sie gekauft? In einer anderen Tasche aber geriet er nun über etwas, was er in der Dunkelheit für Pennys hielt, irrtümlich jedoch, wie sich herausstellte.
- Das sind ja Halbekronen, Mann! berichtigte Corley ihn.
Und als solche erwiesen sie sich in der Tat. Stephen lieh ihm eine davon.
- Danke, antwortete Corley. Sie sind ein Gentleman. Eines Tages werde ich sie Ihnen zurückzahlen.
Sagen Sie, wer ist das eigentlich, da bei Ihnen? Ich habe ihn schon ein paarmal im Bleeding Horse in der Camden Street gesehen, mit Boylan dem Zettelkleber. Sie könnten übrigens mal ein gutes Wort für mich einlegen, daß man mich da nimmt. Ich würde ja gern auch als Plakatträger gehen, bloß das Mädchen im Büro hat mir gesagt, für die nächsten drei Wochen sind sie schon voll belegt, Mann. Mein Gott, bei denen muß man direkt schon im voraus buchen, Mann, fast könnte man glauben, es wäre fürs Carl Rosa. Mir ist’s sowieso scheißegal, solange ich nur einen Job kriege, meinetwegen als Straßenkehrer.
Im Anschluß hieran, nach den zwo-und-sechs, die er bekommen hatte, nicht mehr ganz so aufs Maul gefallen, unterrichtete er Stephen über einen Burschen namens Bags Comisky, von dem er sagte, daß Stephen ihn gut kenne, von Fullam her, dem Schiffslieferanten, da sei er Buchhalter, und er wäre auch oft hinten im Nagle gesessen, mit O’Mara und einem kleinen Burschen, der das Stottern hatte und Tighe hieß. Jedenfalls, der wäre vorletzte Nacht eingespunnt worden und zu zehn Schilling Strafe verknackt, wegen Trunkenheit und ordnungswidrigem Benehmen, und weil er sich geweigert hatte, mit dem Schutzmann zu gehen.
Mr. Bloom hielt sich währenddessen hin und her schlendernd in der Nähe der Kopfsteine neben der Kokspfanne vor dem Schilderhaus des Wachmannes, der, ersichtlich ein Ausbund von Arbeitslust, gerade auf eigene private Rechnung ein stilles kleines Schläfchen machte, während Dublin im Schlummer lag. Zugleich warf er hin und wieder einen Seitenblick zu Stephens alles andere als makellos gekleidetem Gesprächspartner hinüber, ganz als hätte er diesen edlen Herrn schon irgendwo einmal gesehen, wenn er auch nicht in der Lage war, mit Sicherheit zu sagen, wo dies geschehen sei, noch die entfernteste Vorstellung hatte, wann. Da er ein nicht unebener Kopf war, der es im Punkte scharfsinniger Beobachtung getrost mit so manchem aufnehmen konnte, entging ihm auch nicht der sehr ramponierte Hut des anderen und seine im allgemeinen überaus schlottrige Kleidung, welchselbiges beides für einen chronischen Geldmangel zeugte. Vermutlich handelte es sich um einen von seinen Schmarotzern, doch was das betraf, so drehte es sich lediglich darum, daß einer seinen nächsten Nachbarn rundum ausplünderte, in jedem Sinne, sozusagen im tieferen Sinne, und was wiederum das
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