Um die Wurst (German Edition)
sieht es denn hier aus?«, fragte er und starrte auf das Chaos.
»Was willst du hier?«, fragte Bärbel.
»Dir den Schlüssel zurückbringen.«
Bärbel erinnerte sich. Sie hatte Holger während der Zeit ihrer geheimen Liebschaft einen Schlüssel gegeben, damit er nachts ohne großes Geläut in die Wohnung kommen konnte.
Er streckte ihr den Schlüssel entgegen, sie nahm ihn ohne Kommentar. Es war vorbei, und sie trauerte nichts nach. Sie war es gewesen, die den Schlussstrich unter die unsägliche Geheimnistuerei gesetzt hatte. Sie war nicht zur Zweitfrau geboren, die man nur hin und wieder aufsuchte, um mit ihr zu vögeln. Sie war anspruchsvoller, wollte mehr. Aber zu mehr hatte es nicht gereicht. Vielleicht hätte Holger seine Frau mit den zwei Kindern sogar verlassen, wenn sie es gefordert hätte, aber so ein Hecht war Holger dann doch nicht. Das war ihr rasch klar geworden. Die Gespräche nach dem Akt waren kaum ergiebig gewesen. Holger redete immerzu nur von den Hypotheken seines Hauses und den Problemen mit seiner Frau, der er Kaufsucht unterstellte. Eindeutig zu wenig für Bärbel. So gerne sie auch Sex hatte, ihr Interesse galt anderen Männern. Männern mit Ambitionen, die über den eigenen Tellerrand blickten, etwas riskierten, für ihre Ideen auch das eigene Leben in die Waagschale warfen. Männer wie Killian oder Erik Schwarz. Aber nicht Holger. Wenn er denn wenigstens eine richtige Nummer im Bett gewesen wäre. Aber auch da hatte sie nach wenigen Malen bereits die routinierte Spule des Einstudierten erkannt.
»Die spinnen«, sagte Holger und deutete mit dem Kinn auf die Schmiererei an der Wand. »Es tut mir leid um Schwarz. Er war ein feiner Kollege. Aber Radikalität führt eben nicht weiter.«
Bärbel starrte ihn an. Wie sie sich plötzlich vor diesem gemäßigten Spießer ekelte. Wie hatte sie mit so einem Floskeldrescher eine Affäre haben können?
»Mach, dass du verschwindest!«, zischte sie. »Geh in dein Hypothekenhaus und spar auf deinen Campingbus.«
Holger wollte etwas erwidern, aber er war nicht der flinke Rhetoriker. Er verzog bloß unsicher die Mundwinkel und stakste aus der Wohnung.
Bärbel lauschte dem Knarzen der Stufen und atmete tief durch, als sie die Haustür ins Schloss fallen hörte.
Dann wählte sie Killians Nummer.
*
Killian hatte das Fenster des Defenders heruntergekurbelt und atmete die Luft des nächtlichen Frühlings. Nirgendwo erlebte er die Intensität der vier Jahreszeiten so bewusst wie in seiner Heimat. Vielleicht lag es daran, dass sich ihm die Gerüche der einzelnen Vegetationsphasen über die Jahre intensiver eingebrannt hatten, als es an den anderen Orten der Welt hätte geschehen können. Vielleicht war es aber auch die Unrast gewesen, die ihm keine Zeit gegeben hatte, sich auf die Sinnlichkeit anderer Orte einzulassen. Er war fast überall gewesen, aber nicht, um sich die Gerüche der Natur einzuverleiben, sondern um Fotos von Menschen im Krieg zu jagen. Da roch man andere Dinge: Leid, Elend und Tod verbanden sich zu einer Melange, die zum Himmel stank. Das biss und fraß sich in die Schleimhäute, kroch bis in die Seele hinein und verlor niemals die Bitterkeit am hinteren Gaumen.
Hier aber umschmeichelte die Nase die Süße des jungen Grases, schlich die erwärmte Luft ins winterliche Gemüt und blies zum Weckruf in die Welt. Das war die Stimmung, in der er am liebsten sein Bündel schnürte, um aufzubrechen. Diesmal aber würde er bleiben, denn er wusste, dass es an der Zeit war, einen innerlichen Aufbruch zu starten. Vielleicht halfen ihm die Frühlingsgerüche der alten Heimat endlich, die Geruchsfetzen der toten Geister zu vertreiben.
Er fuhr in Breisach ein und blickte über die rechts gelegenen Gleise zur Bahnhofswohnung. In der Küche brannte Licht. Er glaubte, eine Silhouette im Fensterrahmen zu erkennen.
Er parkte den Defender, ging über die Straße und wollte den Klingelknopf drücken, da öffnete ein Summen bereits die Tür. Bärbel hatte am Fenster gestanden und auf ihn gewartet.
Sie fiel ihm um den Hals und drückte ihren Kopf gegen seine Schulter. Auch sie roch nach Heimat.
Er strich ihr durch den mit leichtem Grau durchsetzten roten Schopf und drückte sie fester an sich. Bärbel erwiderte den Druck. Vielleicht wollte auch sie sich in alte Gerüche flüchten.
Sie hob ihren Kopf von seiner Schulter und verschlang ihn mit ihren grünen Augen. Dann drückte sie ihre Lippen gegen seinen Mund und begann zart zu züngeln. Killian ließ es
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