Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Um die Wurst (German Edition)

Um die Wurst (German Edition)

Titel: Um die Wurst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moritz
Vom Netzwerk:
vorkamen. Er wusste nicht, woher, es war nur ein Gefühl, als wären sich ihre Blicke schon einmal begegnet, vor langer Zeit. So etwas gab es. Auch bei Rohina hatte er dieses Gefühl gehabt. Auch Rohina war schön gewesen.
    »Rohina«, fiel es Killian aus dem Mund. »Komm doch rein.«
    Sie blieb im Türrahmen stehen und sah ihn fragend an. Allmählich veränderte sich das Gesicht, nur ihre Augen blieben. Killian erkannte wieder die Polizistin und lächelte verlegen.
    »Wie war noch mal Ihr Name?«
    »Stark«, antwortete sie. »Stark, wie schwach. Darf ich einen Moment hereinkommen?«
    Killian ging einen Schritt zur Seite, und sie trat ein. Ihre dunklen Augen wanderten flink das Atelier ab und gaben Informationen an das geschulte Hirn weiter. Killian wusste, dass sie versuchte, sich über seinen Wohnraum ein Bild von seiner Persönlichkeit zu machen. Er wusste aber auch, dass sie sich schon anderweitig ein Bild von ihm gemacht haben musste. Sonst wäre sie jetzt nicht hier. Nicht so spät am Abend.
    Sie sah auf die Klarinette in seiner Hand, und er glaubte ein Lächeln über ihre Lippen huschen zu sehen.
    »Mögen Sie Jazz?«, fragte er.
    Sie schüttelte den Kopf. »Metal.«
    »Verstehe. Wein?«
    »Bier.«
    »Mit uns wird das wohl nichts.«
    »Was haben Sie tatsächlich auf dem Schlachthof gesucht?«, fragte sie ohne Umschweife.
    »Erst sollte ich Fotos für eine Freundin von Erik Schwarz machen, dann bat mich Ihr Chef, ich sollte die Augen offen halten.«
    Killian merkte, wie es Stark fuchste, dass Belledin ihr nichts von ihm erzählt hatte.
    »Wie heißt die Freundin von Schwarz?«, fragte sie.
    »Bärbel Engler.«
    »Ich erinnere mich. Bei ihr wurde ebenfalls eingebrochen und gewühlt. Wie gut kennen Sie sich?«
    »Wir sind alte Schulfreunde. Und irgendwie gibt es da noch etwas, was darüber hinausgeht.«
    »Das ist ja wie in einer Telenovela.«
    »In etwa. Jedenfalls alles sehr privat. Überhaupt nicht politisch. Deswegen sind Sie doch hier, oder? Sie haben recherchiert. In Archiven, in denen man eigentlich nicht recherchieren dürfte.« Killian sah sie eindringlich an. »Ich hatte leider noch keine Zeit, mich über Sie zu erkundigen. Aber vielleicht erzählen Sie mir selbst, was Sie hierher verschlagen hat. Als zweite Kraft eines Provinz-Maigrets.«
    Sie fixierte ihn, sagte aber nichts.
    »Sind Sie etwa auch undercover? Oder fliehen Sie vor alten Geschichten? Dann hätten wir am Ende doch eine Gemeinsamkeit gefunden.«
    Killian drehte sich um und verstaute die Klarinette im blauen Samt des Musikkoffers. Anschließend ging er zu seinem Plattenspieler und nahm die Platte, die er zuletzt gehört hatte, vom Teller. Er steckte sie vorsichtig in die Papierhülle, dann verstaute er sie im Cover. Es war »A Kind of Blue« von Miles Davis. Er schob die Platte zwischen ein Heer von anderen und wanderte mit dem Finger die Reihe ab. Endlich blieb er an einer Stelle hängen und griff eine Scheibe heraus. Ebenso behutsam, wie er die vorige Platte verstaut hatte, enthüllte er diese und legte sie auf. Er ließ den Plattenteller drehen, setzte den Saphir auf das Vinyl und schraubte das Volumen der Anlage höher. Nach zwei Leerrillen ertönte »Believe« von Savatage.
    »I am the way, I am the light, I am the dark inside the night …!«, sang Killian mit, während er in der kleinen Küche verschwand, um mit zwei Flaschen Bier wieder zu erscheinen. Er zog ein Feuerzeug aus der Tasche und fegte die Kronkorken damit weg, dann reichte er Stark eine davon. Sie stand überrumpelt von Killians Musikangebot mitten im Raum und hielt sich an der Flasche fest. Wortlos griff sie auch die selbst gedrehte Zigarette aus Killians Etui und ließ sie sich von ihm anzünden. Ein Klacken der Flaschen, ein tiefer Blick in die Augen des anderen und der erste Schluck. Dann sogen sie an den Zigaretten und lauschten der Metal-Ballade, ohne ein Wort zu verlieren.
    Beide wussten, dass dieses Lied enden würde. So wie alle Mythen ihre verfluchte Dramaturgie hatten, würde auch dieser Moment einer möglichen Gemeinsamkeit sein Ende finden. Sie sahen sich verloren an, jeder in seiner eigenen Vergangenheit gefangen, auf den Augenblick hoffend, der ihnen ihre Unschuld zurückgab. Was sie gerade taten, war mehr, als aus Fleischeslust übereinander herzufallen. Sie tauschten ihre Seelen, ließen die Herzen bis in den Hals klopfen, jeder in den anderen die Erlösung projizierend. Nur das Lied war lauter als das Hämmern ihres Herzschlags. Doch es klang schon aus.

Weitere Kostenlose Bücher