Um die Wurst (German Edition)
konnte.
*
Stark wand sich ein Handtuch um den nackten nassen Körper und ging barfuß aus dem Bad in die Küche. Durch ihre Zwei-Zimmer-Wohnung kroch »When a hero cries« von Edguy. Sie hatte sich für eine selbst gebrannte Sammlung langsamer Hardrock-Balladen entschieden. Das versüßte ihr den Abend und ließ sie zu sich kommen. Wenigstens erhoffte sie sich das.
Sie tauschte das Handtuch gegen ein hellblaues T-Shirt und einen roten Minirock, trat damit vor den Spiegel. Sie fand sich nicht unsexy. Mit etwas Silikon könnte man sogar richtig was aus ihr machen. Das hatte Schewtschenko zu ihr gesagt, und sie hatte ihm eine saftige Ohrfeige dafür verpasst. Anschließend waren sie dann übereinander hergefallen. Leidenschaftlich und zerstörerisch, voller Liebe und Hass.
»The Maiden and the Minstrel Knight«, dröhnte es aus den Boxen. Sie seufzte. Zu gerne hätte sie jetzt einen Typen wie Schewtschenko gehabt, den sie durch die Zimmer peitschen konnte. Ein richtiger Kerl, der mit der Seele bereits über dem Abgrund baumelte.
Belledin fiel ihr ein, und sie musste laut lachen. Nein. Der wäre nichts für sie. Nicht einmal auf einer einsamen Insel und hundert Frühlingstagen ohne Mahl. Aber dem Fotografen, der im Schlachthof geschnüffelt und von Gotthard und Spiegelhalter eine Abreibung kassiert hatte, wäre sie nicht abgeneigt. Er trug diesen Abgrund im Blick, in den sie sich so gerne fallen ließ. Sie wusste, dass ihre Seele bei solchen Typen abfackelte, bis nur noch ein feuerfester Kern übrig blieb. Hatte sie die Kraft, sich in ein solches Abenteuer zu werfen? Es würde ihr zu nah werden, sie würde um sich schlagen und leiden, wenn er dann wieder fortginge. Und er würde wieder fortgehen – wenn er überleben wollte, musste er es sogar.
Sie schüttelte sich. »Nur für eine Nacht, Dummerchen«, sagte sie ihrem Spiegelbild. »Es muss ja nicht gleich wieder ein Drama werden, oder?« Sie zwinkerte sich zu und ging in die Küche.
Dort öffnete sie den Kühlschrank und nahm sich ein Tannenzäpfle heraus. Sie köpfte das Bier, entfernte den goldenen Alukragen sorgfältig, damit er nicht zerriss, und legte ihn zu den anderen, die sie bereits gesammelt hatte. Sie wusste noch nicht, was sie mit dem Glitzerpapier anfangen würde, es aber einfach wegzuwerfen, war ihr zu schade. Sie stellte sich vor, es wäre echtes Gold. Mit Gold könnte sie sich ein neues Leben schaffen. Irgendwo, wo niemand sie kannte. Sie sah auf die rotwangige Frau, die das Etikett der Flasche zierte, und kniff sich selbst in die Wangen. Sie spürte, wie die Durchblutung hineinschoss.
»Auf die einsamen Frauen«, sagte sie, dann prostete sie der Flaschenfrau zu und nahm einen kräftigen Schluck.
»Wasting Love« von Iron Maiden erklang, und es half nicht, ihre Stimmung zu heben. Sie wehrte sich nicht gegen die Melancholie. Es nützte ohnehin nichts.
Sie setzte sich hinter ihren Laptop, den sie auf dem Küchentisch stehen hatte, und ließ die Finger über die Tastatur springen. Es war ein Leichtes für sie, in das innere Archiv der Polizei zu gelangen. Aber zuerst wollte sie Informationen über Killian, an die jeder kommen konnte. Also googelte sie nach »Killian Fotograf« und war überrascht, was die Suchmaschine ihr an Daten und Informationen ausspuckte. Der Kerl war ein echter Promi in der Szene. Es gab preisgekrönte Bildbände, zweimal sogar hatte er das Foto des Jahres geschossen. Sie kannte die Bilder, sie hatte sie schon gesehen. Man sah so viele Fotos, die Bilderflut über Kriege und Katastrophen war mittlerweile selbst zu einem Tsunami geworden, der einen unter sich begrub. War es da verwunderlich, dass die Menschen, die diese Bildergewalt schufen, selbst dahinter verschwanden? Trotzdem überraschte es sie, dass es kaum Fotos von dem Fotografen selbst gab. Die Infos bei Wikipedia waren nur oberflächlich, über den Menschen erfuhr man dort wenig. Ein paar Daten und Preise, noch nicht einmal ein kolportiertes Zitat.
Ihr war das zu wenig. Sie wollte mehr über den Kerl wissen, der sich in den Schlachthof eingeschleust hatte, um sich dann von Spiegelhalter vermöbeln zu lassen.
Ihre Finger öffneten Seiten, zu denen der normale Bürger keinen Zutritt hatte. Sie wusste nicht nur, wie man das gemeine Archiv der Polizei nutzte, sie kannte auch Datenbänke, die selbst Hauptkommissaren wie Belledin verschlossen blieben. Sie zählte eins und eins zusammen. Killian hatte an Fronten gearbeitet, an denen viele schon ihr Leben gelassen hatten.
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