Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Um die Wurst (German Edition)

Um die Wurst (German Edition)

Titel: Um die Wurst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moritz
Vom Netzwerk:
und Mutproben zu wagen; als sie dann älter waren, kamen sie zum Rauchen und Knutschen hierher.
    Killian inhalierte die Luft der Erinnerung und bekam wacklige Knie. Unter ihm füllte sich der Pausenhof mit Schülern, die sich nach drei Stunden Paukerei Luft verschaffen durften. Es sirrte ein zeitloser Tonteppich, der noch immer vertraut klang. Die Möhlin lungerte mit müder Strömung hinter der Schule. Weiter hinten lag der Rhein, dann kam Frankreich. Seine alte Sehnsucht keimte auf. Er hatte immer in Frankreich leben wollen. Schuld daran waren die Filme von Truffaut und Melville gewesen. Der Film noir mit den schönen Frauen. Dem ständigen Zigarettenqualm, der von der Leinwand direkt in den Kinosaal oder vom Bildschirm ins Wohnzimmer gedrungen war. Dafür hatte es sich gelohnt, mit dem Rauchen anzufangen, aber nicht, Französisch zu pauken.
    Er steckte sich bei dem Gedanken eine seiner Selbstgedrehten an und atmete die Vergangenheit. Vielleicht würde er doch noch nach Frankreich ziehen. Jetzt war sein Französisch besser als damals.
    Er stieg die Stufen des kleinen Rebbergs hinab und rauchte die Zigarette zu Ende, ehe er durch den efeubewachsenen Treppengang den Schulhof betrat. Hierhinten, bei den Fahrrädern, wollten sie sich treffen. Bärbel hatte Hofaufsicht.
    Killian sah sich nach ihr um. Sie war nicht da. Sie hatte es wichtig gehabt am Telefon, wollte ihm nicht sagen, worum es ging. Angst hatte in ihrer Stimme gelegen. Dass sie jetzt nicht da war, beunruhigte ihn. Er überlegte, ob er in die Schule gehen sollte, um sie zu suchen, aber es genügte ihm schon, vor der alten Penne zu stehen.
    Neun Jahre seines Lebens hatte er in dieser Einrichtung verbracht. Wichtige Jahre. Jahre, die ihn geprägt hatten. Menschen hatten Macht über ihn besessen, die er heute mit einem Lidschlag auf ihre Plätze verweisen könnte. Zweifel an den eigenen Fähigkeiten hatten mit Glücksgefühlen gewechselt, je nach Lob und Tadel. Manchmal war es die Hölle gewesen. Aber er hatte die Schule trotzdem geliebt. Weniger wegen der Lehrer und der Fächer, sondern wegen der Schüler, die das Leid mit ihm geteilt hatten. Das Korsett der Schule hatte ihn herausgefordert, unkonventionell und kreativ dagegenzuarbeiten, wollte er kein Systemsoldat werden. Und die Helden des Film noir hatten sich nie dem System gebeugt. Lieber waren sie gestorben. Und Killian hatte es ihnen gleichgetan. An der Tafel und während der Schularbeiten starb er, aber er stand wieder auf in den Pausen und bei den Späßen, die sie hinter den Rücken der Lehrer trieben.
    Ein paar Jungs traten gegen einen kleinen Lederfußball. Killian hatte früher in den Pausen mit leeren Coladosen gekickt. Die waren günstiger gewesen und hatten gelärmt, aber auch schnell unheilbare Löcher in die Schuhe gerissen. Er hatte Lust, mal wieder zu kicken. Der Ball rollte zu ihm, er schoss ihn Vollspann zurück. Etwas unkontrolliert, vielleicht auch übermotiviert. Jedenfalls beschrieb die Flugbahn des Balles einen Bogen, der so von Killian nicht gedacht gewesen war. Das Leder verschwand im geöffneten Fenster des ersten Stockwerks. Killian erinnerte sich, dass dort früher das Sekretariat gewesen war. Er hörte Geschirr klirren. Flüche.
    Die unschuldigen Fünftklässler blickten angespannt nach oben, dann suchten sie Killian. Er hatte sich bereits aus dem Staub gemacht.
    Die große Pause war gleich zu Ende. Wenn Bärbel nicht bald kam, würde er wieder gehen.
    »Killian?«, hörte er eine Stimme in seinem Rücken.
    Er drehte sich um. Er kannte diese Stimme nur zu gut. Fünf Jahre lang hatte sie ihn in Französisch gepeinigt. Instinktiv kramte er nach einer Ausrede, warum er »les devoirs« nicht hatte machen können.
    »Madame Ardant«, sagte er, und er fand, dass es sehr französisch klang.
    »Was für eine Überraschung. Vorgestern Belledin, jetzt Sie. Bekommen Sie Sehnsucht?«, fragte sie und lächelte schmallippig.
    Denise Ardant war schon immer blass gewesen. In Kombination mit ihrem farbenfrohen Make-up hatte diese Blässe für Killian immer das Flair des Absolutismus gehabt. Sie wäre eine gute Maitresse des Sonnenkönigs gewesen. Nach außen hin distinguierte Kühlheit, aber unter den Reifröcken ein unstillbares Lustfeuer.
    Was hatten sie sich früher immer vorgestellt, wie es die einzelnen Lehrer wohl trieben. Was sollte man auch sonst tun, wenn der Unterricht fad war. Man konnte nicht immer nur aus dem Fenster gucken.
    »Ich habe eine Verabredung mit Bärbel Engler«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher