Um die Wurst (German Edition)
Schwung seines Sprunges in die Position, die dieser selbst zuvor eingenommen hatte. Gnadenlos ging die Eisenstange auf die Schulter des Komplizen nieder. Er schrie auf und sackte zu Boden. Gotthard stand wie gelähmt und starrte auf ihn herab. Dann schielte er zu Killian, der zum Gegenangriff ansetzte. Er schleuderte die Eisenstange, um Killians Kopf damit zu treffen, aber Killian duckte sich, und die Stange knallte an die Fahrertür des Defenders. Gotthard half dem Verletzten auf, schleppte ihn zum Wagen, verfrachtete ihn, sprang hinters Steuer und floh.
Killian kramte nach seinem Handy und rief Belledin an.
Bärbel würde sich noch gedulden müssen.
*
»Du schon wieder?« Gerlinde sah müde aus. »Heiner ist nicht da.«
Sie öffnete die Tür und schlurfte durch den Flur. Stark folgte ihr. In der Wohnung roch es wie in einer Kaffeerösterei.
»Wo ist er?«, fragte sie.
Gerlinde war bereits in der kleinen Küche und schnupperte an den frisch gemahlenen Bohnen. »Willst du auch einen? Aus Brasilien. Magenschonend.«
Stark nickte. »Wo ist Saier?«
»Bei den Mengen, die ich derzeit trinke, ist das wichtig. Sonst mache ich es nicht mehr lange. Aber ohne schaffe ich keine Zeile. Da geht es mir wie Balzac. Kennst du Balzac?«
Stark wusste, dass er ein französischer Schriftsteller gewesen war. Gelesen hatte sie allerdings nie etwas von ihm. Sie las überhaupt nicht. Sie sah gerne Filme und überflog hin und wieder eine Graphic Novel, aber das war es dann auch.
»Balzac schrieb nur nachts, mit viel Kaffee. Dann nahm er ein heißes Bad und schlief in den Tag. Ich komme weder zum Baden noch zum Schlafen. Ein Genie, dieser Balzac. Sagt die Nachwelt. Vielleicht hoffe ich auch auf die Nachwelt.«
Sie brühte das Pulver auf. Melitta-Filter. Das gab es noch.
»Ich hab keine Ahnung, wo er ist. Schon seit zwei Tagen ist er verschwunden. Dein Besuch hat ihn schwer aufgeschreckt.«
»Warum haben Sie das nicht gemeldet?«
»Warum sollte ich? Er verschwindet öfter mal. Wenn ich ihm überall hinterherrennen würde, käme ich zu gar nichts mehr. Und morgen ist schon wieder Abgabe.« Sie goss schwarzen Kaffee in zwei Porzellantassen mit Goldkante. »Zucker?«
Stark wurde ein aufgerissener Karton mit Zuckerwürfeln entgegengestreckt. Sie fingerte zwei heraus und warf sie in den Kaffee.
»Haben Sie eine Ahnung, wo er sein könnte?«, fragte sie.
»Am liebsten ist er in Parks oder kleinen Grünanlagen. In der Nähe von Spielplätzen fühlt er sich auch ganz wohl. Jetzt, wo es wieder wärmer wird, verbringt er ganze Nächte im Freien. Den Schlafsack hat er jedenfalls mitgenommen. Das habe ich überprüft.«
Sie rührte ihren Kaffee um und reichte Stark dann den Löffel. »Gibt gerade nur einen.«
Stark rührte ebenfalls und trank.
»Und?«, fragte Gerlinde. »Wie ist er?«
»Angenehm«, sagte Stark.
»Schmeckst du nichts?«
»Doch. Kaffee mit Zucker.«
»Und den Ingwer?«
Stark trank noch mal. »Ja, jetzt schmecke ich den Ingwer.«
»Ein Trick von Balzac. Er hatte ihn von einem Sizilianer. Der Ingwer schont den Magen.« Gerlinde nahm noch einen Schluck. »Jetzt muss ich aber weiterschreiben. Du entschuldigst mich.« Sie nahm die Kaffeekanne und schlurfte aus der Küche.
»Hat Saier ein Handy, auf dem man ihn erreichen kann?«
»Oder orten über GPS ?« Gerlindes Augen funkelten. »Ich kenne eure Methoden. Und er auch. Er ist vielleicht verrückt, aber nicht dumm. Wenn er nicht gefunden werden will, schafft er das auch.«
Sie verschwand in ihrer Schreibhöhle. Stark nahm noch einen Schluck Ingwerkaffee und verließ die Wohnung.
*
»Ja. Geben Sie die Fahndung nach ihm raus. Wir haben übrigens eine Spur von dem Tübinger Toyota. Killian wurde von zwei Maskierten angegriffen, die ihn mit dem Wagen verfolgt haben. Er vermutet, dass der eine Gotthard war. Den anderen konnte er keinem uns Bekannten zuordnen«, sagte Belledin und drückte die Haustür auf, deren Schloss eben per Summer geöffnet wurde. Er steckte sein Handy ein und überlegte beim Erklimmen der Treppe, ob Saier wohl ihr Mann sein konnte. Ein durchgeknallter Metzger, der bereits wegen seiner irren Blutspektakel auffällig geworden war, gäbe schon was her. Doch wie stand er mit den Opfern in Verbindung? Ginter und Erdogan kannte er vom Schlachthof. Aber Schwarz? Von den Demonstrationen vielleicht? Er würde ihn danach fragen, sobald sie ihn erwischt hätten. Jetzt hatte er noch die Bleichenwangs vor sich.
Belledin pumpte nach Luft und sah nach oben.
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