Um Haaresbreite
das?« fragte Pitt.
»Ohne eine alte Karte kann ich es nicht genau zeigen.«
Giordino blätterte rasch einige Geländekarten durch. »Hier ist nichts, aber die Angaben gehen ja auch nur bis auf neunzehnhundertfünfundsechzig zurück.«
»Wie hast du dieses Mondragon Hook entdeckt?« fragte Pitt.
»Ganz einfach. Ich fragte mich, wo ich eine Lokomotive und sieben Pullmanwagen verstecken würde, so daß niemand sie je finden kann. Die einzige Antwort war: Unter der Erde. Ich begann also, zeitlich zurückzugehen und las mir die alten Depeschenberichte aus Albany von vor neunzehnhundertvierzehn durch. Ich hatte bald Glück und fand acht verschiedene Lorenzüge, die Kalkstein transportierten.«
»Kalkstein?«
»Ja, und eben gerade von Mondragon Hook aus, von wo sie zu einer Zementfabrik in New Jersey fuhren.«
»Wann war das?«
»Gegen achtzehnhundertneunzig.«
Giordino war skeptisch. »Dieses Mondragon Hook könnte sehr weit von hier gewesen sein.«
»Es lag mit Bestimmtheit unterhalb von Albany«, sagte Heidi.
»Wie kannst du das wissen?«
»Weil in den Listen der
New York & Quebec Northern
keine Güterzüge mit Kalkstein vermerkt sind, die durch Albany kamen. Aber ich fand einen Vermerk in einer Depesche vom Güterbahnhof in Germantown, wo die Lokomotiven gewechselt wurden.«
»Germantown«, sagte Pitt. »Das liegt vierundzwanzig Kilometer flußabwärts.«
»Mein nächster Schritt war, mir die alten geologischen Karten anzusehen«, fuhr Heidi fort. Sie nahm eine aus ihrer Aktentasche und breitete sie auf dem Tisch aus. »Der einzige unterirdische Steinbruch zwischen Albany und Germantown lag hier.« Sie kreuzte die Stelle mit einem Bleistift an. »Etwa zehn Kilometer nördlich der Deauville-Hudson-Brücke und einige Kilometer westlich.«
Pitt nahm seine Lupe und suchte den Ort auf dem Luftbild.
»Hier, etwas östlich des alten Steinbruchs, ist eine Milchfarm.
Das Haus und die Scheune haben alle Spuren der Abzweigung verwischt.«
»Ja, ich sehe es.« Heidi war ganz aufgeregt. »Und dort ist eine gepflasterte Straße, die zum New York State Thruway führt.«
»Kein Wunder, daß du die Spur verloren hast«, sagte Giordino. »Die Asphaltstraße liegt genau darüber.«
»Wenn du genau hinschaust«, sagte Pitt, »erkennst du ein Stück des alten Schienenballasts, wo er sich um hundert Meter von der Straße entfernt und am Fuße eines steilen Hügels endet.«
Heidi nahm die Lupe. »Erstaunlich, wie klar alles wird, wenn man weiß, wonach man ausschaut.«
»Sind Sie zufällig an Informationen über den Steinbruch gelangt?« fragte Giordino.
»Das war verhältnismäßig einfach«, erwiderte Heidi. »Das Gelände und das Vorfahrtsrecht auf der Schienenstrecke gehörten dem Grubenunternehmen Forbes, das den Steinbruch von achtzehnhundertzweiundachtzig bis neunzehnhundertzehn ausbeutete, als es eine Überschwemmung gab. Dann wurden alle Arbeiten eingestellt und die Ländereien an die benachbarten Bauern verkauft.«
»Ich möchte zwar kein Spielverderber sein«, sagte Giordino, »aber wäre es nicht möglich, daß der Steinbruch eine offene Grube war?«
Heidi blickte ihn verständnisvoll an. »Ich sehe, was Sie meinen. Wenn die Firma Forbes den Kalkstein nicht aus dem Innern des Berges gefördert hat, gäbe es keinen Platz, um einen Zug zu verstecken.« Sie sah sich noch einmal das Foto an. »Es ist alles zu sehr überwachsen, um ganz sicher zu sein, aber das Gelände sieht unberührt aus.«
»Ich finde, wir sollten es mal versuchen«, sagte Pitt.
»Ich auch«, stimmte Giordino zu. »Ich fahre euch hin.«
»Nein, ich gehe allein. Rufe inzwischen Moon an und lasse Verstärkung kommen — einen Zug Marineinfanterie, falls Shaw eine Truppe bei sich hat. Und sag ihm auch, er soll uns einen guten Bergingenieur schicken. Trommle alle Opas in der Gegend zusammen, die sich vielleicht an seltsame Vorgänge im Steinbruch erinnern. Und Heidi, falls dir danach ist, hole die örtlichen Zeitungsfritzen aus den Betten und lies dir in den Archiven alle Nachrichten durch, die nach dem Einsturz der Deauville-Hudson-Brücke in die Lokalberichte geraten sind. Ich sehe mir inzwischen den Steinbruch an.«
»Viel Zeit bleibt uns nicht«, sagte Giordino entmutigt. »Der Präsident hält seine Rede in neunzehn Stunden.«
»Daran brauchst du mich nicht zu erinnern.« Pitt nahm seinen Mantel. »Im Augenblick bleibt uns nichts anderes übrig, als in den Berg zu kommen.«
75
Die Sonne war untergegangen, und ein Mondviertel
Weitere Kostenlose Bücher