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Um Haaresbreite

Um Haaresbreite

Titel: Um Haaresbreite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Cussler
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Landschaft breitete sich frisch und grün bis zum Horizont aus, gekrönt von weißen Frühlingswolken. Aus fünfzehnhundert Meter Höhe wirkte der Fluß wie eine durch die Hügel kriechende Riesenschlange, und die Strominseln sahen wie Schrittsteine in einem kleinen Bach aus. Weinberge, Obstgärten, Wiesen und Weiden.
    Als der Höhenmesser dreitausend Meter anzeigte, schwenkte Westler in einem Bogen leicht nach Nordwesten ab. Die
De Soto
war nur noch ein Spielzeugschiffchen.
    »Die Kameras laufen«, verkündete Westler.
    »Sie reden, als ob sie einen Film drehten«, sagte Pitt.
    »Fast. Jedes Bild überschneidet sich mit dem nächsten um sechzig Prozent. Auf diese Weise erscheint dann jeder besondere Gegenstand zweimal in leicht verschobenen Winkern und Lichtschatten. So erkennt man Dinge, die vom Boden aus unsichtbar sind, wie die Überreste menschlichen Wirkens vor Hunderten oder Tausenden von Jahren.«
    Pitt sah jetzt die Bahnspur ganz deutlich. Plötzlich verschwand sie in einem Alfalfafeld. Er zeigte nach unten.
    »Wenn nun aber das Zielobjekt völlig ausradiert ist?«
    Westler blickte durch die Scheibe und nickte. »Okay, das will ich Ihnen erklären. Wenn das Land auf dem uns interessierenden Gebiet landwirtschaftlich bebaut ist, zeigt die Vegetation einen ganz feinen Farbunterschied, der den fremden Elementen in der ursprünglichen Bodenbeschaffenheit entspricht. Der Unterschied mag mit menschlichem Auge nicht zu erkennen sein, aber die Kameraoptik und die erhöhte Farbempfindlichkeit des Films kennzeichnen diese Stellen mit überwirklicher Schärfe.«
    Es schien Pitt, sie seien kaum gestartet, da näherten sie sich bereits den Ausläufern der Hauptstadt des Staates New York. Er sah die Überseefrachter im Hafen von Albany.
    Unzählige Schienenstränge erstreckten sich wie Spinnennetze von den großen Lagerhäusern aus in alle Richtungen. Hier verschwand die alte Bahnspur im Gewirr der modernen Entwicklung.
    »Machen wir noch eine Runde«, sagte Pitt.
    »Wir wenden«, bestätigte Westler.
    Fünf weitere Male überflogen sie die einstige Strecke der
New York & Quebec Northern,
aber die blasse und zerbrechliche Linie in der Landschaft zog sich immer noch einsam hin, zeigte keine erkennbaren Abzweigungen.
    Falls die Kameras nicht etwas aufgespürt hatten, was seinen Blicken verborgen geblieben war, blieb Heidi Milligan seine einzige Hoffnung, den
Manhattan Limited zu
finden.
    Die Karten aus der Mappe im Eisenbahnmuseum waren spurlos verschwunden, und Heidi wußte ohne jeden Zweifel, wer sie gestohlen hatte. Shaw war spät in jener Nacht in das Hotel zurückgekehrt, und sie hatten sich bis in die frühen Morgenstunden geliebt. Aber als sie erwachte, war er fort. Zu spät fiel ihr ein, daß er ihr Gespräch mit Admiral Sandecker belauscht hatte.
    Mehr als einmal während der Liebesnacht hatte sie an Pitt gedacht. Mit ihm war es ganz anders gewesen. Pitts Stil war verzehrend und wild und zwang sie, mit wilder Intensität zu reagieren. Mit ihm im Bett war es ein Wettkampf, ein Turnier, das sie nie gewinnen konnte.
    Pitt hatte sie wie eine Ertrunkene in einem nebelhaften Erschöpfungszustand zurückgelassen.
    Es verletzte ihr unabhängiges Selbstgefühl, und ihr Verstand weigerte sich, seine Überlegenheit anzuerkennen, und doch hungerte ihr Körper in sündhafter Ergebenheit nach ihm.
    Mit Shaw war es ein Akt der Zärtlichkeit, fast gegenseitiger Rücksicht, und sie konnte ihre Reaktionen beherrschen.
    Zusammen nährten sie einander, getrennt waren sie wie zwei Gladiatoren, stets darauf aus, beim anderen eine schwache Stelle zu entdecken, um ihn zu besiegen. Pitt ließ sie verausgabt und mit dem Gefühl zurück, benutzt worden zu sein. Shaw benutzte sie auch, nur zu einem anderen Zweck, aber seltsamerweise schien es ihr nichts auszumachen. Sie sehnte sich immer wieder nach ihm zurück, wie nach jemandem, der von einer sturmbewegten Reise heimkehrt.
    Sie lehnte sich im Stuhl der Bibliothek des Museums zurück und schloß die Augen. Shaw bildete sich ein, sie in eine Sackgasse getrieben zu haben, indem er die Karten entwendet hatte. Aber es gab noch andere Quellen, andere Archive, Privatsammlungen und historische Gesellschaften. Shaw wußte, daß sie sich nicht die zeitraubenden Reisen leisten konnte, um das alles nachzuprüfen. So mußte sie sich einen anderen Weg ausdenken. Shaw wußte nämlich nicht und war auch mit all seinen Listen nicht darauf gekommen, daß sie durchaus noch nicht das Spiel verloren

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