Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
Entgegenkommen dazu benutzte, um sich Zeitvorteile zu verschaffen.
Neben den ständigen Unterbrechungen durch die Nahrungsaufnahme strapazierten seine ausweichenden Antworten die Geduld des Vernehmenden. Gäfgen analysierte jede Frage, wog seine Antwort so ab, dass ihm aus der Beantwortung kein Nachteil entstehen konnte.
Das Verhör stockte. Gäfgen schwieg oder leierte seine monotonen Antworten. Es konnte kein vernünftiges Gespräch entstehen.
Bernd versuchte es noch einmal, redete ihm ins Gewissen, die Wahrheit zu sagen und den Aufenthaltsort des Kindes zu nennen. Dabei machte Bernd deutlich, dass er um das Leben des Kindes besorgt sei und dass Gäfgen auf eine erhebliche Strafmilderung hoffen könnte, wenn der Junge mit seiner Hilfe gerettet werden würde.
Wieder dieselbe Antwort, er wüsste nichts von einem Jungen.
Zeitgleich wurde auf höchster Ebene im Einvernehmen mit der Familie von Metzler beschlossen, eine Pressekonferenz einzuberufen, um vielleicht durch Hinweise aus der Bevölkerung auf Jakobs Versteck zu stoßen.
Bernd Mohn teilte Magnus Gäfgen den Beschluss, an die Öffentlichkeit zu gehen, mit. Erschrocken hielt der sich daraufhin die Hand vor den Mund, dann rief er aus: »Hoffentlich finden Sie jetzt kein totes Kind!«
Außerhalb des Verhörzimmers herrschte größte Hektik. Mit zahlreichen Kollegen befragten wir zehn Personen, alle Kontaktpersonen Gäfgens. Bisher konnte keiner der jungen Leute auch nur einen Hinweis zur Entführung oder zum Verbleib des Kindes geben. Die Wohnungsdurchsuchungen bei diesen Kontaktpersonen waren zwar noch nicht abgeschlossen, aber sie schienen ergebnislos. Erste von den Eltern beauftragte Rechtsanwälte meldeten sich bei uns.
Gäfgen wurde die Gelegenheit gegeben, alleine mit einer Rechtsanwältin zu sprechen. Sie lehnte jedoch ein Mandat wegen einer möglichen Interessenkollision ab, da sie schon das Mandat für einen der vorläufig festgenommenen Bekannten Gäfgens übernommen hatte.
Wir hatten immer noch keine Spur des vermissten Kindes.
Die Polizei bittet um Ihre Mithilfe!
Freitag, den 27. September gegen 10.45 vormittags, wurde der elfjährige Jakob von Metzler entführt.
Die Kriminalpolizei bittet um Hinweise unter der gebührenfreien Telefonnummer 0800/100 80 11. Gesucht werden weitere Zeugen, die den Jungen beim Verlassen des Schulbusses oder danach gesehen haben. Jakob von Metzler ist etwa 1,45 Meter groß, hat mittelblondes kurzes Haar und blaue Augen. Am Freitag trug er sandfarbene Hosen, einen blau-weiß gestreiften Baumwollpulli, ein Hemd mit Kragen und weiße Sportschuhe der Marke »Puma«. Er hatte einen schwarzen Nylon-Rucksack mit Reißverschlusstasche der Marke »Eastpak« bei sich.
Kriminalhauptkommissar Korn rief um 19.30 Uhr im Polizeipräsidium an und teilte mit, dass in Gäfgens Wohnung bis zu diesem Zeitpunkt circa 500 000 Euro des Lösegeldes aufgefunden worden waren.
Die Männer des Erkennungsdienstes arbeiteten noch. Bisher gab es aber keine Anzeichen für einen Aufenthalt Jakobs in Gäfgens Wohnung. Sie nahmen jedoch verschiedene Textilproben, suchten nach Fingerabdrücken und möglichen biologischen Spuren.
Als Beweis für Gäfgens Beteiligung an der Entführung wertete Olli Korn die Auffindung eines handgeschriebenen Notizzettels, einer Art Checkliste mit folgenden Abgaben:
Weg abfahren
Ortstermin Steg
Rucksäcke
Brieftest
Brief Ortsinformation
Briefsteinwurf testen
Beil
Als ich das hörte, wurde ich einen Augenblick hoffnungslos. »Jakob lebt nicht mehr« – dieser Gedanke setzte sich in meinem Kopf fest und tat weh. Ich versuchte, meine Intuition rational in den Griff zu bekommen. Wie sahen die Tatsachen wirklich aus? Was hatten wir in der Hand? Wie groß war die Chance, dass Jakob noch lebte?
Gäfgen hatte also gelogen, er war an der Entführung zumindest beteiligt. Er hatte das Lösegeld abgeholt, die Hälfte war in seiner Wohnung versteckt. Er hatte eine Checkliste verfasst, die wir gefunden hatten. So lange er unter Beobachtung stand, hatte er sich nicht einen Moment lang um Jakob gekümmert oder Kontakt mit Leuten gehabt, die es für ihn getan haben könnten. Und Jakob kannte ihn.
Die fehlende Hälfte des Lösegeldes ließ jedoch auf Mittäter schließen, die Jakob entweder noch in Gewahrsam hielten oder ihn in einem Versteck sich selbst überlassen hatten und sich mit ihrem Geld längst auf der Flucht befanden.
So lange wir nichts Gegenteiliges wussten, mussten wir davon ausgehen, dass Jakob lebte, und
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