Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
wurde. »Wo ist der Junge? Sag uns sofort, wo der Junge ist!«
Mit Handschellen gefesselt, wurde Gäfgen hochgezogen und gegen das Auto gepresst. »Sag uns sofort, wo das Kind versteckt ist! Wir wissen, dass du mit dem Verschwinden des Jungen zu tun hast, sag uns lieber gleich, wo der Junge ist!« Weinerlich antwortete er, dass er nicht wüsste, um was es ginge.
»Wo warst du gestern Abend?«, drohte die Stimme unnachgiebig. »Kommt deine Erinnerung zurück?«
Gäfgen zögerte. Der Griff um seinen Arm wurde fester.
»Ich habe im Wald Geld gefunden«, lautete Gäfgens Antwort.
»Einfach so im Wald? Das klingt nicht sehr glaubhaft, verarsch uns nicht!« Der Polizist ließ nicht locker.
»Ich habe das Geld für einen unbekannten Mann abgeholt.«
»Welchen Mann? Rede, los!«
»Als ich gestern Abend gegen 22.30 Uhr mein Auto in der Mörfelder Landstraße geparkt hatte, sprach mich ein 35- bis 40-jähriger Mann an der Straßenbahnhaltestelle an. Er fragte, ob ich Geld verdienen möchte. Da habe ich ihm geantwortet: Ja, immer. Der Mann hat mir dann 20 000 Euro in bar gegeben und gesagt, ich sollte ein paar Stunden später, um 1.00 Uhr nachts, eine Tasche an der Haltestelle Oberschweinstiege abholen. Heute Abend gegen 20.00 Uhr wollte er mich anrufen, um die Tasche abzuholen. Dann sollte ich weitere 30 000 Euro erhalten.«
»Was weißt du von dem Jungen, wie geht es ihm?«
»Welcher Junge, ich verstehe nicht, was Sie meinen?«
»Welche Rolle spielt deine Freundin?«
»Sie weiß nichts darüber, dass ich das Geld abgeholt habe. Ich hatte ihr erzählt, dass ich einen alten Freund, Ernst von H. [Name geändert], besuchen wollte. Stattdessen bin ich nach Neu-Isenburg gefahren, habe mein Auto abgestellt und die Straßenbahn zum Abholort genommen. Mit der Tasche bin ich dann zurück zu meinem Auto und dann nach Hause.«
»Was genau war in der Tasche?«, fragte der Polizist.
»Da war Geld, viel Geld. Ich habe einen Teil herausgenommen, der Rest liegt in zwei Geldkassetten bei mir in der Wohnung.«
»Wie viel Geld war es genau?«
»Ich weiß nicht, es war so viel, ich habe es nicht gezählt.«
»Du kannst mir nicht erzählen, dass ein fremder Mann dir so eine große Geldsumme anvertraut und dir am nächsten Tag eine vergleichsweise geringe Summe im Tausch dafür aushändigen wird, erzähl uns keinen Scheiß!«
»Das ist die Wahrheit, das ist so.« Gäfgen schloss die Augen, atmete kurz und hastig.
»Was ist los, was hast du?«
»Mein Kreislauf, Zucker, ich brauche Zucker.«
»Bist du krank?« Zwei Polizisten legten ihn auf den Boden in Seitenlage.
»Nein, nein, ich brauche nur Zucker.«
Die Beteiligung Gäfgens an der Entführung stand für uns fest. Wir sahen keine andere Möglichkeit mehr. Nur er konnte uns weiterhelfen, Jakob zu finden. Er musste verhört werden. Der Festnahmeschock könnte ihn zum Sprechen bringen.
Drei Tage und sechs Stunden befand sich Jakob von Metzler schon in Gefangenschaft, mehr als vier Tage konnte er ohne Essen und Trinken nicht überleben. Bei jedem unserer Worte, bei jeder Handlung rückte der unbarmherzige Uhrzeiger vor. Er wurde zu unserem quälenden Begleiter der folgenden Stunden.
Angespannt warteten wir im Polizeipräsidium auf den mutmaßlichen Entführer.
Aufgrund seiner großen Erfahrung hatte ich schon Kriminalhauptkommissar Bernd Mohn ausgesucht, um ihn zu vernehmen. Ich selbst musste die Festnahme aller Kontaktpersonen, Durchsuchungen bei diesen Personen und die Durchsuchung möglicher Verwahrungsorte vorbereiten und koordinieren.
Das Telefon klingelte.
Unser Kollege am Festnahmeort schilderte uns die Geschichte vom Unbekannten, der Gäfgen angeblich für eine große Geldsumme beauftragt hätte, eine Tasche an der Haltestelle im Stadtwald abzuholen. Es folgte die Nachricht, dass Gäfgen den Ohnmächtigen nach Ansicht der beteiligten Polizisten spielte.
Polizeibeamte hatten Gäfgen mittlerweile in die Seitenlage gebracht und ärztliche Hilfe angefordert. Ein Kollege versetzte ihm zwei leichte Klapse auf die Wangen, wodurch er zwar wieder ansprechbar wurde; aber regelmäßig schloss er erneut die Augen, als ob er bewusstlos werden würde. Gäfgen reagierte jedoch auf jedes Ansprechen sofort und öffnete dann auch die Augen.
Während des Telefongespräches kamen eine Ärztin und ein Sanitäter der Flughafenklinik an, um Gäfgen zu untersuchen.
Ich legte bedrückt auf. Wieder verloren wir Zeit, Jakobs Zeit.
Lange konnte ich nicht darüber nachdenken, da die ersten
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